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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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sind wir am Leben. Willst du sie etwa bitten, mit uns zu kommen, damit sie von einem Richter ihre gerechte Strafe entgegennehmen können?«
    Thiderich achtete nicht auf den spöttischen Unterton seines Freundes. Mit unversöhnlicher Stimme sagte er: »Ich werde sie nicht entkommen lassen, Godeke. Mein Entschluss steht fest: Ich bleibe hier, um mich an ihnen für all das zu rächen, was sie uns angetan haben.«
    »Das ist doch nicht dein Ernst! Was willst du allein schon gegen meinen verrückten Zwillingsbruder und den Riesen ausrichten, geschwächt von den Wochen deiner Gefangenschaft? Das ist doch Irrsinn!«
    »Dann wirst du mir wohl helfen müssen.«
    Godeke zögerte. Hin- und hergerissen zwischen dem Drang, Runa zu helfen und Thiderich beizustehen, blickte er zur Tür. Zu zweit konnten sie es vielleicht schaffen, ihre Feinde zu überwältigen. Nach dem, was er heute über Johannes erfahren hatte, war ihm eines klar geworden: Sein Bruder war zu allem fähig. Gebot man ihm nicht Einhalt, würde er erst ruhen, wenn er sie alle vernichtet hatte. Schließlich hatte Godeke seine Entscheidung gefällt. »Ich hoffe wirklich, du hast einen guten Plan, Thiderich.«

6
    »Singt«, forderte Margarete von Dänemark Walther auf und zwinkerte gleichzeitig ihrem Gemahl zu, der ihr dankbar zulächelte.
    Walther tat, was die Gräfin verlangte, und stimmte ein leises Lied an. Er wusste, dass das Paar sich zu unterhalten wünschte und seinem Gesang bloß nebenbei lauschen wollte.
    »Ich muss schon sagen, Ihr gebt einen besseren Wundarzt ab als alle Heiler des Hofes zusammen«, lobte Johann II. von Kiel seine Frau. »Der Gesang dieses Spielmanns vermag es wie nichts sonst, mir Linderung zu verschaffen. Ich glaube, ich möchte nie wieder darauf verzichten.«
    »Dankt mir nicht, mein Gemahl. Euer Wohlbefinden ist mir stets Belohnung genug«, erwiderte sie aufrichtig und winkte einen Diener heran, damit er ihnen beiden Wein einschenkte. Kurz darauf schickte sie ihn und das übrige Gesinde aus der Kammer. »Bitte geht. Alle. Bis auf Euch, Spielmann.«
    Walther war nun mit dem Grafenpaar allein in deren Schlafgemach. Es war nicht das erste Mal – ganz im Gegenteil: Seit seiner Ankunft hatte er jeden Abend hier für sie gesungen. Er wusste also, was sie von ihm erwarteten: ein leises Lautenspiel, lieblichen Gesang und galante Zurückhaltung.
    Johann II. und Margarete von Dänemark waren keine übermäßig aufmerksamen Zuhörer, doch sie wussten des Spielmanns Kunst sehr zu schätzen und würdigten jedes seiner Lieder zumindest mit einem kurzen Nicken. Walther war damit zufrieden. Alles hatte sich gut entwickelt, seitdem er vor über einer Woche in Kiel angekommen war, und das, obwohl er gleich zu Anfang eine schwere Prüfung hatte bestehen müssen.
    Noch am Abend seiner Ankunft wurde er aufgefordert, in Gegenwart des gesamten Hofes zu singen. Alle schienen in jenem Moment die Luft anzuhalten. Der Graf selbst ließ während des gesamten Liedes den achtsamen Blick seines verbliebenen Auges auf dem neuen Spielmann ruhen.
    Walther hatte jeden Grund, aufgeregt zu sein. Nicht umsonst hatten die Bewohner des Hofes ihn zunächst freundlich, doch gleichzeitig zurückhaltend aufgenommen. Vor ihm waren schon einige Spielleute, Huren, Geistliche und Heilkundige des Landes bei dem Versuch gescheitert, den Grafen aufzuheitern. Walther jedoch war fest entschlossen, dieses Schicksal nicht zu teilen – er wollte bleiben, und zwar für immer! Wohin sonst hätte er auch gehen sollen? Es gab kein anderes Zuhause mehr für ihn. Zu seiner Familie in Hamburg konnte er nicht zurück, nein, das war ausgeschlossen, und darum sang er an jenem Abend mit all der Kraft eines Hoffnungslosen und mit all dem Herzschmerz, den seine unerwiderte Liebe zu Runa hinterlassen hatte. Diese Gefühle ermöglichten es ihm, die nötige Lieblichkeit in seine Stimme zu legen, welche den Grafen schließlich überzeugte.
    Nachdem Walther geendet hatte, waren des Grafen Mundwinkel langsam nach oben gegangen. Er hatte angefangen zu lachen und zu klatschen und Walthers Stimme mit den schmeichelhaftesten Vergleichen zu loben. Von da an war klar gewesen, dass Walther bleiben konnte. Sein Gesang sollte tatsächlich die Wende bringen, denn er war es gewesen, der dem bei den Kielern einst so beliebten Grafen den Frohsinn zurückgebracht hatte.
    Sein neuer Stand als höfischer Spielmann war für Walther ein Segen, bedeutete er doch, dass er nahezu Tag und Nacht seiner größten Leidenschaft

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