Tochter des Ratsherrn
da einige Mitglieder des sitzenden Rats auf Reisen waren. Bevor er zu sprechen begann, sah er jedem Einzelnen von ihnen in die Augen. »Worte! Das sind doch alles nur leere Worte!« Langsam hob er eine Hand und ballte sie zur Faust. »Wir müssen unmissverständlich unseren Willen kundtun und Stärke zeigen!« Dann verließ er seinen Platz und ging geschwind zu den großen, bunt bemalten Fenstern. Mit einem Ruck zog er die schweren grünen Vorhänge beiseite, auf dass das Licht durchs Glas fiel und ein farbenprächtiges Muster auf die Tonfliesen zeichnete. Mit dem Finger wies er hinaus und sagte: »Dort draußen ist das, was uns stark macht: die Bürger Hamburgs! Ihrem Drängen werden sich die Fürsten nicht entziehen können. Hören wir auf zu reden und zeigen den Grafen, wie wenig wir die zusätzlichen Vögte benötigen, indem wir im Sinne des Volkes entscheiden. Sein Jubel ist das, was wir brauchen!«
»Was meint Ihr damit, vom Berge?«, fragte Olric Amedas interessiert.
»Ich meine, wir verbrennen die Hexe Runa von Sandstedt gleich am Tage des St. Veitsmarkts, vor den Augen der Grafen und im Beisein der Hamburger! Das ist es doch, was die Menge will. Die Bürger wollen keine langen Prozesse vor dem Vogtgericht und schon gar keine Prozesse vor dem Ratsgericht, auf das sie noch viel weniger Einfluss haben. Sie wollen, dass die Obrigkeit für ihren Schutz sorgt!« Die Wirkung seiner Worte war genau so, wie er sie sich gewünscht hatte. Einen Moment herrschte Stille im Gehege. Auf den Gesichtern der Männer zeichnete sich eine Mischung aus Entsetzen und zaghafter Zustimmung ab.
Der Bürgermeister blinzelte ins grelle Sonnenlicht und schirmte mit seiner Hand seine empfindlichen Augen ab. Natürlich erlebte er es häufiger, dass es während der Ratssitzungen zu hitzigen Verlautbarungen kam, doch ging es dabei eher selten um eine solch drastische Forderung. Er fühlte sich als Erster dazu berufen, etwas auf die Worte Johannes’ vom Berge zu erwidern. »Das erscheint mir doch etwas vorschnell. Wir haben die Frau bisher nicht einmal angehört. Noch bekommt jeder Christenmann und jede Christenfrau in Hamburg ein ordentliches Verhör. Bis dahin ist es wohl kaum angebracht, über eine Verbrennung zu sprechen.«
»Ich bitte Euch«, winkte Johannes entrüstet ab. »Der Fall ist doch offensichtlich, und auch das Volk ist von ihrer Schuld überzeugt, das war auf dem Kranfest nicht zu übersehen. Wäre sie wirklich unschuldig, würde Gott dann zulassen, dass sie gerichtet wird? Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass Runa von Sandstedt keine Hexe ist, oder?«
»Ich glaube das, was das Gericht entscheidet oder ein Verhör hervorbringt«, antwortete Willekin Aios entschlossen.
»Runa von Sandstedt wurde der Verwendung von Kräutern und Salben überführt – von einem Mann Gottes! Stellt Ihr Euch etwa über das allsehende Auge des Allmächtigen, werter Bürgermeister?«, fragte Johannes mit herausfordernder Stimme.
Willekin Aios spürte, dass ihm die Situation entglitt. Johannes vom Berge war ein überaus gewitzter Redner. Dass er nun Willekins Gottesfürchtigkeit anging, war eine gerissene List, doch die Geduld des Bürgermeisters kam damit zu einem jähen Ende. »Was ist nur in Euch gefahren, vom Berge? Seit wann erdreistet Ihr Euch, derartige Vorwürfe gegen mich zu erheben?«
»Bei allem Respekt, Bürgermeister«, begann Johannes nun mit etwas versöhnlicherer Stimme. »Das Einzige, was ich Euch vorwerfe, ist, zu zögerlich zu sein. Wir verschenken eine einmalige Gelegenheit, den Grafen zu zeigen, wie eigenständig und unnachgiebig der Rat über Recht und Unrecht in der Stadt entscheidet. Im Ordeelbook steht doch ganz deutlich, wie wir mit Frauen wie Runa von Sandstedt verfahren. Wozu also warten?« Johannes vom Berge begann ohne Mühe die entsprechende Stelle aus dem Hamburger Stadtrecht zu zitieren. »Welcher Christenmann oder -frau, der ungläubig ist oder mit Zauberei umgeht oder mit Giftmischerei und auf frischer Tat ergriffen wird, die soll man auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Und so soll man auch tun mit einem Verräter.«
Der Bürgermeister konnte nicht abstreiten, dass Johannes vom Berge die richtige Stelle des Ordeelbooks zitiert hatte und dass es nach dieser Verordnung tatsächlich außer Frage stand, was sie zu tun hatten. Auch war deutlich zu spüren, dass die anderen Ratsherren Johannes’ Vorschlag, die Strafe der vermeintlichen Hexe vorzuziehen, zumindest in Erwägung zogen. Doch Aios war nicht wohl
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