Tochter des Ratsherrn
schnell der eben noch schreckstarre Walther von seinem Sessel aufgeschnellt war. »Das ist zwecklos. Ihr könnt Euch Eure Worte beim Bürgermeister sparen. Ich habe bereits mit ihm gesprochen. Bitte setzt Euch wieder, und hört mich bis zum Ende an.«
Walther wollte sich zunächst weigern, ein weiteres Mal auf die Forderung des Ratsnotars einzugehen, dann jedoch kam er tatsächlich zurück und setzte sich wieder. Johann Schinkel begann ihm von der stummen Magd Johanna zu erzählen, die durch ein Wunder sprechen konnte, und ließ auch Agnes’ Worte nicht unerwähnt. Dann gab er das Gespräch wieder, welches er mit Vater Everard vor seiner Abreise nach Kiel geführt hatte, und berichtete ihm von Willekin Aios’ Besuch in seiner Kurie. Der Ratsnotar schloss seinen Bericht mit den Worten: »Vater Everard genießt momentan überaus großes Ansehen in Hamburg. Ihr würdet nichts gegen ihn ausrichten können, und auch für Runa könnt Ihr derzeit nichts tun. Everard hat zu viel gegen sie in der Hand – sei es nun wahr oder unwahr. Das Beste ist, wenn Ihr bleibt, wo Ihr seid, und überlasst alles mir.«
»Aber was verlangt Ihr da?«, protestierte Walther verständnislos. »Ich kann doch nicht einfach in Kiel bleiben und Abend für Abend vor mich hin singen, als wäre nichts geschehen.«
»Das solltet Ihr aber. Ich sage es ungern, doch dieser Fall erfordert mächtigere Männer als Euch. Zudem müsstet Ihr wohl erst einmal erklären, warum Ihr nicht in Hamburg weiltet, als Eure Frau festgenommen wurde. Euer Verhalten ist bedauerlicherweise überaus verdächtig. Fast scheint es so, als wäret Ihr ebenfalls von der Schuld Eurer Frau überzeugt.«
»Das ist doch lächerlich«, stieß Walther wütend aus.
»So?«, fragte Johann Schinkel spitz. »Und wie genau wollt Ihr vorgehen? Wollt Ihr den Hamburgern erklären, dass Ihr Euer Weib verlassen habt, da es unzüchtige Gedanken einen anderen Mann betreffend hegt, der noch dazu ein Geistlicher ist? Ich sage Euch, was dann passiert: Man würde ihr Unzucht unterstellen und vielleicht sogar, dass sie sich meiner Gefühle durch Zauberkräfte bemächtigt hat. Dann wäre Runa erst recht des Todes.«
Sosehr es Walther auch widerstrebte – er musste dem Ratsnotar recht geben. »Also, was schlagt Ihr vor?«
»Sagt mir, wo Ihr den Brief des Grafen Gerhard II. versteckt habt, der bezeugt, dass Albert von Holdenstede im Tausch mit seinem Haus aus dem Einlager freigelassen wird. Ich habe keine große Hoffnung, aber vielleicht kann er als ihr Vater und ehemaliges Ratsmitglied etwas ausrichten.«
Walther horchte auf. Obwohl der Ratsnotar den Brief schon eingangs erwähnt hatte, fiel ihm erst jetzt etwas auf. Zutiefst verwundert fragte er: »Hat Godeke von Holdenstede diesen Brief denn noch nicht an sich genommen?«
»Godeke von Holdenstede ist verschwunden.«
Walther stieß ein ungläubiges Lachen aus. »Verschwunden? Heilige Mutter Gottes, auch das noch! Ich fasse es nicht!«
»Hört zu«, versuchte Johann Schinkel Walther zu beschwichtigen. »Ich wünschte, ich könnte Euch etwas Erfreulicheres berichten, doch das kann ich nicht. Ich weiß derzeit keinen besseren Rat, obwohl die Zeit drängt. Albert von Holdenstede scheint mir unsere letzte Möglichkeit zu sein. Er würde von den Ratsherren angehört werden. Selbst jetzt, da er in Ungnade gefallen ist, zählt sein Wort noch immer mehr als das Eure. Wenn es mir gelingt, ihn bis zum St. Veitsmarkt freizubekommen, sehen wir weiter. An diesem Tage versammeln sich alle hohen Herren auf dem Kunzenhof. Hier können wir vielleicht etwas für Runa tun – das heißt, wenn ihr Kind bis dahin nicht schon geboren ist.«
Walther hatte wahrlich Mühe zu begreifen. Es musste doch irgendetwas geben, das er tun konnte – doch es gab tatsächlich nichts. Die Beweise gegen Runa waren einfach zu erdrückend. Vielleicht behielt der Ratsnotar recht, und Albert konnte noch etwas ausrichten. Er entschied sich, seinem Rivalen dieses eine Mal zu trauen. »Der Brief ist unter einer der Dielen im ersten Schlafgemach versteckt. Sie ist bloß lose aufgelegt, man erkennt sie sofort, doch zunächst muss man eine Truhe zur Seite schieben, die darauf steht.«
»Gut, ich werde jemanden schicken, der das Pergament zur Riepenburg bringt. Danach können wir nur hoffen, dass Albert von Holdenstede den Brief früh genug erhält und es schafft, Runas Schicksal zu beeinflussen.«
Walther nickte betrübt. »Ich danke Euch, Ratsnotar.«
Johann senkte kurz den Kopf, um
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