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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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nach so vielen Jahren wohlauf zu sehen.«
    »Meine Freude, Euch hier zu sehen, ist ganz sicher nicht geringer«, schmeichelte die Ratsherrnfrau gekonnt und führte ihn hinein. »Doch könnten die Umstände unseres Treffens erfreulicher sein.« Nachdem sie ihm selbst einen Becher heißen Würzwein eingeschenkt hatte, fügte sie hinzu: »Ich denke, wir zwei wissen sehr wohl, warum Ihr hier seid. Ihr müsst also gar nicht erst so tun, als würdet Ihr mir einen Besuch abstatten, um Euch nach meinem Befinden zu erkundigen.«
    »Die Einsamkeit auf dem Land hat Eurer direkten Zunge scheinbar nicht geschadet. Nun ja, es ist tatsächlich auch in meinem Sinne, gleich zur Sache zu kommen. Ich hatte gehofft, die Familie der Dame Runa von Sandstedt hier zu finden.«
    »Ich bin erstaunt, dass Ihr uns so schnell gefunden habt, und ich gebe zu, dass ich neugierig bin. Nun, wo Ihr schon da seid und alles Weitere wohl unabwendbar ist, seid doch so liebenswürdig, mir zu sagen, wie Ihr von dieser – ich nenne es mal Heimlichkeit – erfahren habt?«
    Johann war verwirrt. Offensichtlich wussten weit mehr Frauen und Männer von dieser prekären Sache, als er ahnte. Kurzerhand beschloss er daher, ehrlich zu sein. »Ich habe es auch erst vor wenigen Tagen erfahren, und ich muss gestehen, dass es mich mehr als beschämt, mit Euch darüber zu sprechen.«
    »Ach, ich bitte Euch«, wehrte Hildegard brüsk ab. »Ihr sagt, es beschämt Euch? Sagt mir lieber, was Ihr nun mit Eurem Wissen zu tun gedenkt.«
    »Leider habe ich darauf noch keine rechte Antwort gefunden, Domina Hildegard.«
    »Ihr wisst es nicht? Ja, aber …«
    »Bitte, lasst mich nicht länger warten. Ist er da?«
    »Er?«
    »Thymmo, mein Sohn.«
    »Euer was … ?«
    »Mein …« Der Ratsnotar stutzte.
    In diesem Moment kam Ragnhild aus einer Nische geschossen. »Nicht doch!« Sie hatte das Unglück nahen sehen und eingreifen wollen, um Schlimmeres zu verhindern, doch sie kam zu spät. Die Worte waren bereits heraus.
    Fassungslos blickte Hildegard von Horborg zwischen Ragnhild und dem Ratsnotar hin und her. »Ihr seid der Vater von Thymmo? Deshalb seid Ihr hier? Nicht wegen Ragnhild oder wegen Margareta?«
    Johann war nicht weniger verwirrt als Hildegard. Hatte er eben noch geglaubt, ein Geheimnis mit ihr zu teilen, stellte sich nun heraus, dass er stattdessen seines preisgegeben hatte. Doch noch bevor er recht wusste, wie ihm geschah, richtete Ragnhild das Wort an ihn.
    »Hat Runa es Euch selbst erzählt?«, fragte sie mit einem eindringlichen, doch gleichzeitig einfühlsamen Ton.
    »Du wusstest davon?«, fragte Hildegard ihre Freundin ungläubig.
    »Ja, Runa hat es mir vor einiger Zeit gestanden. Doch nicht nur ich war eingeweiht, auch Walther weiß es.«
    »Walther? Heilige Mutter Gottes …« Hildegard klappte die Kinnlade herunter. Die sonst so beherrschte Ratsherrnfrau rang sichtlich nach Atem und fächelte sich Luft mit der Handfläche zu.
    »Das ist richtig. Walther von Sandstedt wusste es, und er war es auch, der mir vor einigen Tagen auf der Burg Kiel davon erzählte.«
    »Auf der Burg Kiel?«, riefen Ragnhild und Hildegard wie aus einem Munde. »Das ist unmöglich!«, schloss Ragnhild dann. »Er sollte doch in Hamburg sein, zusammen mit Godeke. Sie wollten Runa beistehen …«
    »Es tut mir leid, Euch das mitteilen zu müssen, Domina Ragnhild«, sagte Johann widerstrebend und fragte sich, ob diese Frau nicht schon genug hatte leiden müssen, »aber weder der eine noch der andere weilt in Hamburg. Godeke scheint sogar gänzlich verschwunden zu sein.«
    »Großer Gott!«, rief Ragnhild erschrocken und schlug die Hände vor den Mund. Kopfschüttelnd kämpfte sie mit den Tränen und versuchte zu verstehen, was Johann ihr eben mitgeteilt hatte, doch es gelang ihr nicht, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
    Johann holte währenddessen Walthers Brief hervor und legte ihn auf den Tisch, damit ihn die Frauen lasen. Er wünschte sich, es hätte eine schonendere Möglichkeit gegeben, ihnen die Wahrheit beizubringen, doch die gab es nicht. Lange saßen sie zu dritt zusammen und sprachen über Runa, über die Ereignisse in der Stadt und vor allem über Thymmo und Walther. So unbegreiflich es zunächst auch schien, dass er seine Familie verlassen hatte – keine der drei Anwesenden konnte ihm angesichts der Tatsachen jetzt noch einen Vorwurf machen.
    Erst als es nichts mehr zu sagen gab, ging Ragnhild in den hinteren Teil des Hauses, wo die Kinder friedlich neben Marga und

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