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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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Margareta schliefen. Sanft weckte sie Thymmo auf und führte ihn zu Johann Schinkel an den warmen Kamin, wo Vater und Sohn eine erste Unterhaltung führten.
    Für Thymmo war der Mann bloß ein freundlicher Geistlicher, der mit großem Interesse über das Schnitzen von Hölzern und über das Entenjagen sprach, doch für Johann war dieser Moment einer der eindringlichsten seines ganzen Lebens.
    Leise verließen Ragnhild und Hildegard den Raum. Sie hatten sich darauf geeinigt, dem Jungen die Wahrheit zu verschweigen. Der Fünfjährige sollte nicht wissen, dass er unehelich gezeugt wurde, dass Walther nicht sein Vater war und dass Runa vielleicht nicht mehr lange zu leben hatte. Wenigstens für diesen einen Abend sollten Johann und Thymmo sich unbeschwert gegenüberstehen.
    Das hatte sich der Ratsnotar gewünscht. Schließlich würde womöglich er selbst es sein, der dem Leben von Thymmos Mutter ein Ende setzte – und dann würde der Junge ihn hassen.
    Der Auftrag war einer seiner einfacheren gewesen. Am Vortag hatte er die Magd Agnes aufgesucht und in die Pläne des Ratsnotars eingeweiht, woraufhin sie sofort bereit gewesen war, ihm zu helfen. Schnell und leise war er mit ihrer Hilfe in das Haus in der Reichenstraße eingedrungen und hatte trotz der nächtlichen Finsternis zielstrebig die Stiegen zum oberen Stockwerk erklommen. Innerlich gewappnet gegen einen Kampf war es ihm ein Leichtes gewesen, den Kirchenmann zu überwältigen. Nachdem er Vater Everard gefesselt, die Truhe verrückt und das Schreiben des Grafen Gerhard II. unter der Diele hervorgeholt hatte, hatte er Agnes auf deren eigenen Wunsch die Hände gefesselt, damit kein Verdacht auf sie fiel.
    Unbemerkt wie ein Schatten und schnell wie der Wind hatte er daraufhin die Stadt verlassen und war nun nach Südosten unterwegs zur Riepenburg. Jedem anderen Mann wäre es möglicherweise schwergefallen, seinen Weg in der nächtlichen Düsternis zu finden, doch er war kein Anfänger. Das Mondlicht reichte ihm aus, um der zuvor abgerittenen Strecke zu folgen und nicht versehentlich in den südlichsten Ausläufer des schwer zu durchdringenden Wald- und Sumpfgebietes des früheren Limes Saxoniae zu gelangen. Karl der Große hatte diese Grenzlinie einst festgelegt, um die Sachsen von den Abodriten zu trennen, heute hatte dieses Gebiet seine Bedeutung nahezu verloren. Geübt nahm der Reiter die richtigen Abzweigungen, durchquerte Bäche und ritt über Brücken, ließ die wenigen Kirchenorte hinter sich und erreichte schließlich sein Ziel.
    Vor der Burg saß er ab und führte sein Pferd hinter sich her. Sein Gang war steif vom Reiten, aber zielstrebig. Der auszuführende Befehl duldete keine weitere Verzögerung. Am Tor der Burg brauchte es nur wenige Worte, damit die Wachen ihn einließen. Gleich darauf führte man ihn zu Albert von Holdenstede, der zusammen mit Jons auf dem Burghof ein Pferd begutachtete.
    »Albert von Holdenstede?«
    »Wer seid Ihr?«, fragte dieser misstrauisch.
    »Das ist nicht weiter von Belang. Ich habe ein Schreiben für Euch«, antwortete der Bote und reichte Albert das Pergament. »Nehmt es, und ich verschwinde wieder.«
    »Ich kann Euch nicht entlohnen.«
    »Das müsst Ihr nicht. Johann Schinkel hat es bereits getan.«
    Nun war Alberts Verwirrung vollkommen. Was hatte der Ratsnotar mit diesem Schreiben zu tun? Verdutzt nahm er es entgegen, dann sah er zu, wie der Fremde aufs Pferd stieg und von dannen galoppierte. Eine Staubwolke wirbelte hinter ihm her. Albert brach das wächserne Siegel und las das erste der beiden Papiere. Es stammte aus Kiel, und es war tatsächlich von Johann Schinkel. Albert erkannte die Schrift, die er im Rathaus so oft vor Augen gehabt hatte, sofort. Sein Blick flog nur so über das Papier, und je länger er las, desto weniger konnte er glauben, was dort stand. Hastig nahm er den anderen Brief zur Hand. Sogleich bemerkte er, dass der Brief unter Beachtung der geltenden Regeln der Ars dictaminis , der Kunst des Schreibens, verfasst worden war, die einen bestimmten Aufbau verlangte. Der Brief stammte also eindeutig von einem erlauchten Absender, und tatsächlich: Es handelte sich um eine Überschreibungsurkunde von Gerhard II. aus Plön.
    Albert las beide Briefe bestimmt ein Dutzend Mal, studierte Zeile für Zeile und geriet dabei immer mehr aus der Fassung. Seine anfängliche Verwirrung wich schon bald einem zermürbenden Wechsel aus Angst, Verzweiflung und Wut. Er hatte gedacht, es könne nicht mehr schlimmer kommen,

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