Tochter des Ratsherrn
doch nun wurde er qualvoll eines Besseren belehrt.
Runa, Walther, Godeke, Ragnhild! Seine Familie war in alle Winde zerstreut, verschollen oder gefangen. Sein Haus hatte er verloren und als zweifelhaften Ausgleich seine nunmehr wertlose Freiheit wiedergewonnen.
Wenn dieser Brief ihn nicht zum Narren hielt, konnte er unverzüglich gehen. Das Tor stand sogar noch offen. Albert hätte bloß einen Fuß vor den anderen setzen müssen, und doch verharrte er reglos auf der Stelle.
Zu Recht fiel es ihm schwer, den Inhalt der Briefe zu begreifen – zu unfassbar erschien ihm die Tatsache, dass es sein altes Leben so nicht mehr gab. In ihm kämpfte David gegen Goliath – die Hoffnung, dass all das Grauen ein Irrtum war, gegen die Gewissheit der Wahrheit. Doch welche Beweise hatte er schon für die Echtheit der Schreiben? Womöglich handelte es sich um eine Falle, und seine Mörder warteten schon hinter dem nächsten Baum, allzeit bereit, ihn mit einer Axt in Stücke zu hacken. Er musste nachdenken, und er benötigte dringend Rat.
Als in dem Augenblick Eccard Ribe hinter ihm erschien, war Albert das erste Mal aufrichtig dankbar für seine Gesellschaft.
8
»Heilige Maria und heiliger Joseph, schenke unserem Spielmann Frohsinn, auf dass er uns wieder mit heiteren Liedern erfreut!«
Walther unterbrach seinen Gesang abrupt und schaute Margarete von Dänemark an, als wäre sie gerade erst überraschend in die Kemenate gekommen.
In Wahrheit aber saß die Gräfin schon seit geraumer Zeit mit einer Stickerei vor dem Spielmann, ebenso wie all die fein gekleideten Damen, die sie stets auf dem Fuße begleiteten.
»Verzeiht, Herrin. Gefällt Euch mein Gesang heute nicht?«, fragte er verdutzt.
»Es ist nicht Euer Gesang, Spielmann. Es ist die Wahl Eurer Lieder und Dichtungen. Sie sind traurig und machen mich schwermütig. Wo ist Eure Heiterkeit, mit der Ihr uns sonst so erfreut?«
Walther war nicht überrascht über diese Frage. Er hatte es kommen sehen und es doch nicht ändern können. Seit Johann Schinkel ihm die grauenhaften Nachrichten aus Hamburg überbracht hatte, wollte ihm nichts Fröhliches mehr über die Lippen dringen. Jede noch so minnigliche Dichtung klang seither düster und schwer. Es war ihm zwar kurzzeitig gelungen, die Sorge um Runa aus seinem Kopf zu verbannen, doch nun, da er sie in so großer Gefahr wusste, schweiften seine Gedanken immer wieder zu ihr ab – auch beim Singen.
Walther blickte in die erwartungsvollen Augen der Frauen. Er verbeugte sich knapp und sagte: »Bitte verzeiht mir, Herrin. Ich werde Euch die Heiterkeit bringen, nach der Ihr verlangt. Habt Ihr einen Wunsch? Soll ich vielleicht die Laute holen?«
»Nein«, gab die Gräfin schlicht zurück.
»Was kann ich dann tun? Ich beherrsche auch die Flöte. Sie klingt beschwingt und ist …«
»Ich würde es vorziehen zu erfahren, was es ist, das Euch so traurig dreinschauen lässt«, fiel sie ihm ins Wort.
Walther schwieg. Er schaute Margarete an, dann die übrigen Frauen, eine nach der anderen, und schließlich wieder die Gräfin. Er konnte unmöglich hier und jetzt, vor all diesen Frauen, die Wahrheit sagen.
Margarete folgte seinem Blick und verstand. Sie hätte ihn mit Leichtigkeit dazu zwingen können, zu sprechen, doch das wollte sie nicht. Stattdessen bat sie ihre Damen: »Lasst uns allein.«
Die Frauen erhoben sich sofort, legten alles beiseite, was sie soeben noch in den Händen gehalten hatten, und verließen eine nach der anderen wortlos die Kemenate.
»Nun, Spielmann, wir sind allein. Jetzt könnt Ihr sprechen. Ich wünsche zu wissen, was Euch bekümmert. Ihr seid bislang meines Gemahls bestes Heilmittel und Quell seiner wiederkehrenden Freude gewesen. Wenn Ihr Eure Fähigkeiten plötzlich einbüßt, dann kann das schwerwiegende Folgen haben. Ich verlange deshalb, dass Ihr mir die Wahrheit sagt.«
Walther wusste, dass er ihr nicht ausweichen konnte. Immer wieder trat er von einem Fuß auf den anderen und setzte zum Sprechen an, doch es war so viel schwerer, die richtigen Worte zu finden, als er gedacht hatte. Sollte er ihr sagen, sein Weib sei eine Hexe, die dem Tod bereits näher stand als dem Leben?
»Ich höre nichts«, sagte die Gräfin geduldig. »Ist Euer Laster etwa so schlimm, dass Ihr es meinen Ohren in meinem Zustand nicht zumuten wollt?«
Margaretas Stimme klang so sanft, dass Walther tatsächlich einen Moment überlegte, ob sie die Wahrheit verkraften würde. »Nein … ich meine doch …«, stammelte Walter
Weitere Kostenlose Bücher