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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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gefallen und sprach mit salbungsvoller Stimme: »Mein Fürst, ich bin hocherfreut, Euch wohlauf zu sehen.«
    »Johannes vom Berge«, begann der blinde Graf mit einem schiefen Lächeln. »Ich bin es, der erfreut sein sollte, Euch so wohlauf zu sehen. Man sagt, Eure Reise wurde durch einen unerfreulichen Zwischenfall erschwert.«
    »Wie wahr, wie wahr! Mein Leben hätte heute beinahe ein jähes Ende gefunden. Doch dank des heiligen Christophorus und des heiligen Nikolaus konnte ich meinen Tod gerade noch abwenden, indem ich die Bande von Gesetzlosen mit meinem Schwert in die Flucht schlug.«
    Der Graf nickte und rieb sich gleichzeitig das bärtige Kinn. »Ja, die umherziehenden Placker sind wahrhaftig ein Fluch. Zum Glück hat unser Herrgott Euch mit einem so wackeren Herzen bestückt.«
    »Dem Herrn sei Dank«, pflichtete Johannes ihm mit all seiner Inbrunst bei und hoffte, sich nun endlich von dem harten Boden erheben zu dürfen. Der blinde Graf jedoch schien diesen Teil schon vergessen zu haben.
    »Ihr seht mich tief bestürzt angesichts dieses jüngsten Überfalls, guter Freund. Vor wenigen Wochen erst habe ich mit dem Placker Hermann Ribe und seinen Mannen sowie der Stadt Lübeck und ihren Verbündeten, darunter auch Hamburg, verhandelt. Ihr könnt mir glauben, in meiner Funktion als Schlichter habe ich alles getan, um den räuberischen Überfällen in diesem Land ein Ende zu bereiten. Wenigstens gibt es, dem Herrn sei Dank, seit diesem Zusammentreffen nun zehn Raubburgen weniger. Gott allein weiß, wann all das endlich ein Ende findet.«
    Johannes’ Knie begann zu schmerzen, und er hatte Mühe, seinen Gesichtsausdruck zu kontrollieren. Die Worte des Grafen klangen wie Hohn und Spott in seinen Ohren. Auch wenn es stimmte, dass dieses Jahr zehn Raubburgen geschleift worden waren, wusste dennoch jedermann, dass Graf Gerhard II. mit den Plackern paktierte. Ganz sicher hatte er nicht alles getan, um den Frieden auf den Handelswegen wiederherzustellen. Doch das war schwer zu beweisen, und selbst wenn es Beweise gäbe, sollte man zweimal überlegen, ob man einen Schauenburger zum Feind haben wollte. Darum sagte Johannes wider seiner wahren Gedanken: »Sicher habt Ihr alles getan, mein Fürst. Wenn selbst Euer weises Wort nicht hilft, dann liegt der Friede allein in Gottes Hand.«
    »Hoffen wir das Beste«, schloss der Graf. »Nun aber genug der schaurigen Geschichten. Nachdem Euer Schwertarm heute so Großes leisten musste, solltet Ihr Euch erst einmal stärken.«
    Dankbar nahm Johannes das längst überfällige Angebot an, sich zu erheben, setzte sich auf einen Sessel neben den Grafen und griff zu den Speisen, die ihnen immer neue Diener auf immer volleren Platten brachten. So dringlich sein eigentliches Anliegen auch war, es musste warten. Johannes wusste, dass der Graf beim Essen nicht gerne über Geschäftliches oder Unerfreuliches sprach. Seine Leidenschaft für süße und fettreiche Speisen machte sich bereits bemerkbar; Graf Gerhard II. schien jedes Jahr dicker zu werden.
    Während die Männer über allerlei Belangloses wie die Jagd und die Schönheit der Weiber plauderten, bemerkte Johannes nicht, dass an dem Tisch im Saal genau jene Ritter saßen, die zuvor versucht hatten, ihn zu töten. Da die Rüstungen ihre Gesichter vollständig verdeckten, war es ihm unmöglich, die Männer zu erkennen.
    Unauffällig belauschten die Ritter das Gespräch des Kaufmannes und ärgerten sich im Stillen darüber, wie er sich selbst als furchtlosen Kämpfer darstellte, obwohl er sich wie ein Mädchen im Geäst versteckt hatte. Doch zu ihrem großen Bedauern würden sie diese Lüge nicht richtigstellen können. Nachdem sie nach ihrem erfolglosen Angriff auf die Burg zurückgekehrt waren, hatte es nicht lange gedauert, bis die Spatzen ihre Niederlage förmlich von den Burgzinnen pfiffen.
    Als Graf Gerhard II. wenig später zu Ohren kam, wen seine Ritter heute angegriffen hatten, tobte er vor Wut. Sie wären blinder als er selbst und könnten scheinbar ein Pferd nicht von einem Esel unterscheiden, schrie er außer sich vor Zorn. Tatsächlich hatten die Ritter keine Ahnung gehabt, dass es sich bei dem Kaufmann um den grafenfreundlichen Johannes vom Berge gehandelt hatte. Jetzt verstanden sie auch, warum Gerhard II. so tobte. Der Zorn des Grafen war nicht etwa in der Sorge um einen Freund begründet, sondern galt vielmehr dem Vermögen des Kaufmanns. Johannes vom Berge stellte eine scheinbar niemals versiegende Quelle des Reichtums

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