Tochter des Ratsherrn
tat der Wein sein Übriges. Er war betrunken, und dennoch hatte er alles mit angehört. Die Namen Albert von Holdenstede oder Thiderich Schifkneht waren ihm vorher noch nie zu Ohren gekommen, weshalb es ihn nicht kümmerte, wen Johannes vom Berge soeben bei seinem Herrn angeprangert hatte. Vielmehr dagegen interessierte ihn das, was er über den fremden Kaufmann selbst erfahren hatte. Dieser Mann konnte tatsächlich gefährlich werden, sollte er eines Tages auf Rache sinnen. Jene eben vernommenen Worte ließen keinen Zweifel: Johannes vom Berge war ohne jeden Skrupel. Ein hinterhältiger Gegner ohne Ehrgefühl, der einem das Messer rücklings zwischen die Rippen stach.
Der Ratsmann stand Graf Gerhard II. in nichts nach!
14
Thiderich hatte einen neuen, überaus mächtigen Feind kennengelernt, dessen Bekämpfung all seine Kraft forderte – Erniedrigung!
Nie zuvor in seinem Leben war er so schrecklich gedemütigt worden wie in den vergangenen Wochen. Fast war er froh darüber, dass er all diese Schmach hier im Wald in einer einsamen Hütte über sich ergehen lassen musste, wo ihn niemand dabei sah. Wie ein Hündchen wurde er einmal täglich von Bodo zum Trinken an einen Bach geführt. Dies war auch die einzige Zeit, in der er seine Notdurft verrichten konnte. Seine Hände waren dabei stets gefesselt, und um seinen Hals lag Tag und Nacht ein kratziger Strick, der seine Haut bereits blutig gescheuert hatte.
Die übrige Zeit war er zumeist mit Bodo und Luburgis in der Hütte. Schweigend und auf dem Boden zusammengekauert kämpfte er gegen die Langeweile an.
Johannes kam nur einmal in der Woche, sobald er von Runa einen freien Nachmittag bekam, um seine Familie zu besuchen. Immer dann brachte er Neuigkeiten aus der Stadt oder Waren vom Markt mit. Absurderweise war dieser eine Tag für Thiderich leichter zu ertragen als die anderen, und dafür gab es einen einfachen Grund: Nur wenn Johannes in der Hütte schlief, blieb es Thiderich erspart, ein tägliches, grausiges Schauspiel mit anzusehen.
Die Jahre im Wald hatten der Witwe Luburgis scheinbar jede christliche Keuschheit genommen, und so war es nur eine Frage der Zeit gewesen, wann sie für Bodos plumpe Grapschereien empfänglich wurde. Vollkommen ohne Scham besprang er sie seitdem oft sogar mehrmals am Tag direkt vor Thiderichs Augen. Wann immer es den Boten überkam, stellte er sich hinter sie, lüpfte ihre Röcke und bediente sich ihrer. Immer wieder stieß er keuchend wie ein Tier in sie hinein, während die Witwe ihm wollüstig ihr Hinterteil entgegenreckte und ihrem wilden Geliebten selbst die abstrusesten Wünsche erfüllte.
In diesen Momenten meinte Thiderich, seine Gefangenschaft nicht mehr aushalten zu können. Täglich hatte er sich gefragt, wie lange er diesem bizarren Spiel noch würde beiwohnen müssen und was wohl passierte, wenn sie seiner eines Tages überdrüssig wurden. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt, und mittlerweile war ihm klar geworden, welchen Zweck seine Gefangenschaft erfüllte: Man wollte Albert in Schwierigkeiten bringen! Das eigentliche Interesse seiner Entführer galt also gar nicht ihm, was die Gefahr, in der er schwebte, umso größer machte. Lebend war er seinen Peinigern kaum von Nutzen – ihr Plan konnte sogar nur aufgehen, wenn Thiderich für immer verschwand. Schon jetzt war es nicht auszudenken, was sein Verschwinden aus Hamburg bereits angerichtet hatte. Sicher nahmen alle an, er sei mit den gräflichen Münzen über alle Berge, wenngleich sich seine Freunde dieser Meinung niemals anschließen würden. Er wusste, welche Folgen das für Albert hätte: Sie beide waren dem Grafen verpflichtet und durch eine Bürgschaft aneinander gebunden. Der launische Fürst würde sich nicht lange bitten lassen, um seinen Anteil bei Albert einzutreiben, und der Rat wäre mit Sicherheit mehr als bloß erbost darüber, dass sie seine Weisung missachtet hatten.
Immer wieder hatte Thiderich des Nachts wachgelegen und gegrübelt, wie er von hier flüchten könnte, um Albert zu Hilfe zu eilen und vielleicht noch das Schlimmste abzuwenden. Doch seine Überlegungen endeten jedes Mal an ein und demselben Punkt: Er konnte froh sein, dass er überhaupt noch lebte – eine misslungene Flucht wäre ohne jeden Zweifel sein Todesurteil. Er würde unbedingt den richtigen Moment abwarten müssen, und wann und ob dieser je kommen würde, war fraglich. Solange blieb ihm nichts anderes übrig, als die Schmähungen weiter zu ertragen und zu beten, dass
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