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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Wunden allzu langsam – und Carlo Rienzi brauchte schnellere Hilfe. Er verschrieb sie in aller Kürze:
    »Wenn deine Frau dir Hörner aufsetzen will, dann mußt du sie ja nicht tragen. Gib sie doch ihrem Vater zurück und erwirke eine Trennung von Tisch und Bett. Wenn du deinen Posten nicht magst – und deinen Chef: dann wechsle sie. Kehre Straßen, wenn nötig – aber mach dich frei. Jetzt, sofort!«
    »Ich frage mich«, sagte Rienzi mit düsterem Humor, »warum immer die Sentimentalen die passenden Antworten zur Hand haben. Ich habe etwas Besseres von dir erwartet, Peter. Du als Psychiater solltest doch wohl die Komplikationen von Liebe und Eigentum besser verstehen als andere Leute: warum manchmal ein halber Laib Brot viel besser ist als ein Korb voll Kuchen; warum vertröstete Hoffnung oft stärkender ist als halbe Erfüllung.«
    Landon wurde rot und erwiderte schroff: »Wer sich gern kratzt, will seinen Juckreiz nicht geheilt bekommen.«
    »Aber muß man ihm das Herz herausreißen, um ihn zu heilen? Muß man ihm den Kopf abschneiden, um ihn zur Vernunft zu bringen?«
    »Durchaus nicht. Man versucht, ihn soweit zu bringen, daß er sein Heilmittel selber wählen kann. Oder – falls es kein Heilmittel gibt – seinen Kummer mit Würde zu tragen.«
    Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als er sie auch schon bedauerte. Er tat sich etwas auf eine Toleranz zugute, die er gar nicht besaß, und schämte sich seiner Schroffheit, zu der eine lange klinische Praxis ihn verleitet hatte. Das war die Strafe für Ehrgeiz: Man konnte mit nichts Mitgefühl empfinden, ohne sich selber zu erniedrigen. Es war die Ironie der Eigenliebe: Er konnte für nichts Mitleid empfinden, was er nicht selber durchlebt hatte: den unerwiderten Kuß, die Leidenschaft ohne Gegenliebe.
    Rienzis milde Antwort war der bitterste aller Vorwürfe:
    »Wenn es mir an Würde fehlt, Peter, darfst du mir das nicht allzusehr verübeln. Der billigste Schauspieler kann einen König spielen. Man muß schon ein großer Mann sein, wenn man mit seinen Hörnern das Publikum zum Schluchzen bringen will. Wenn ich nicht schon früher rebelliert habe, dann, weil es an Gelegenheit fehlte – nicht an Mut. Es ist nicht ganz so leicht, wie du glaubst, die Zwiespältigkeiten von Loyalität und Liebe zu erdulden. Aber ich denke an Veränderungen, glaube mir. Ich weiß besser als du, daß meine einzige Hoffnung bei Valeria ist, ihren Vater in seinem eigenen Felde zu schlagen – die Legende zu zerstören, die er für sie geschaffen hat und die die Wurzel und Quelle seiner Macht über sie ist. Seltsam, nicht wahr? Um mich als Mann zu beweisen, muß ich mich zunächst als Anwalt bewähren. Ich brauche einen Fall, Peter – nur einen guten Fall. Aber wo zum Teufel kriege ich den her?«
    Noch bevor Landon antworten konnte, rief ein Diener Rienzi ans Telefon, und der Arzt blieb allein mit dem Problem der Liebe in einem alten Land, wo die Leidenschaften seltsame Wege gehen und die jungen Menschen schwer an einer zweitausendjährigen Vergangenheit voller Gewalt und Brutalität tragen.
    Landon war froh, allein zu sein. Als Mann, der dem Mechanismus des Erfolgs ergeben war, empfand er zuviel Gesellschaft, zu viele neue Eindrücke als eine Belastung seiner Einbildungskraft. Er verspürte ein Bedürfnis nach Erholung, bevor er sich seinem anspruchsvollen Gastgeber weiter widmete.
    Carlo Rienzi war ein anziehender Bursche, und man konnte nicht anders, als Mitgefühl für seine Lage zu empfinden. Es war nun einmal das Problem bei allen italienischen Freundschaften: Man erwartete hier, daß ein Freund sich dem anderen mit Haut und Haaren verschrieb und in allen Dingen genauso leidenschaftlich Partei ergriff wie der Betroffene. Man konnte nicht genug auf der Hut davor sein.
    Es war eine Erleichterung, allein zu sein und sich der schlichten Freude des Besuchers hinzugeben, einfach die Landschaft zu bewundern.
    Der Blick vom Garten war atemberaubend: eine klare, belebende Luft, die dem Betrachter das Herz höher schlagen ließ, Hügel in Augenhöhe, nackt gegen den Himmel, mit Kiefern und Kastanienbäumen betupft, dazwischen uralte Felsen und die verfallenden Ruinen alter Burgen der Guelfen und Ghibellinen. Ein Falke zog hoch am Himmel seine Kreise, und dunkle Pinien standen wie Lanzenträger die Hänge hinauf.
    Obgleich er den Anschein von Egoismus und Ehrgeiz erweckte, war Landon doch durchaus kein primitiver Mensch. Man konnte nicht auf den geheimen Pfaden der menschlichen

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