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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Seele wandeln ohne die Gabe, sich wundern zu können, und ohne die Gnade des Mitgefühls. Und eben jetzt stiegen Tränen auf in ihm, angesichts des unvermittelten Wunders, das dieses Land der Geister am hellen Tag bereithielt.
    Das war das Land des Mystizismus, wild und zart, vom Pflug gezähmt und der noch erfüllt von den Überresten alter blutiger Konflikte.
    Hierher kamen die Landsknechte des Kaisers Barbarossa, Lanzenträger von England, Bogenschützen aus Florenz, Banditen von Albanien, bunt zusammengewürfelt und schrecklich bei dem Massaker von Montalcino. Hier starb im Jahre 1313 der Dichterkaiser Heinrich VII. aus Luxemburg unter Zypressen. Hier, auf den Hügeln von Malmarenda, von vier Bäumen gekrönt, wurde das gewaltige Fest aller Feste gefeiert, das mit der Abschlachtung der Tolomei und Salimbeni endete. Und hier, unter den uralten Dächern Sienas, enthüllte die heilige Catarina die Süße ihres Geistes. »Mildtätigkeit ist nicht Selbstzweck – sie ist für Gott. Seelen sollten sich wandeln und vereinen durch sie. Zwischen Dornen müssen wir finden den Duft knospender Rosen …«
    Es war eine Landschaft der Unvereinbarkeiten – ein Platz, an dem sich historische Gegensätze begegneten: Schönheit und Schrecken, vergeistigte Ekstase und primitive Grausamkeit, naive mittelalterliche Unwissenheit und das kalte Licht des Zeitalters der Unvernunft. Auch ihre Menschen waren eine seltsame Mischung aus alten Etruskern, Lombarden und Glücksrittern aus aller Herren Ländern. Mittelalterliche Heilige, Florentiner Humanisten, arabische Astrologen – sie alle hatten beigetragen zu diesem Erbgut. Ihre Handelsherren reisten von der Provence bis zum Baltikum, und Studenten kamen aus allen Teilen Europas, um Aldo Brandini über den menschlichen Körper lesen zu hören.
    Für Landon war es eine seltsame Vision – zusammengesetzt aus Landschaftseindrücken und Bruchstücken alter Erinnerungen –, die ihm half, diese Menschen zu verstehen. Er brauchte sie nicht mehr zu verdammen, wie sie sich selber verdammten. Er konnte ihnen vergeben – vorausgesetzt, daß er nicht mit ihnen leben mußte.
    Er hörte Schritte sich nähern und spürte einen Hauch von Parfüm. Eine Sekunde später stand Valeria Rienzi neben ihm auf dem Weg. Sie trug ein modisches Sommerkleid, Sandalen aus Goldleder an den nackten Füßen und hatte das Haar mit einem Seidenband hochgebunden. Sie sah blaß aus, schien es ihm. Schatten lagen unter ihren Augen, und er glaubte einen Anflug von Müdigkeit zu entdecken, als sie ihn mit einem Lächeln grüßte. »Wissen Sie, Peter, daß ich Sie zum erstenmal so sehe?«
    »Wie ›so‹?«
    »Nicht auf der Hut. Fast wie ein Junge, der Pulcinella auf der Piazza zusieht.«
    Landon fühlte, wie er rot wurde, doch er versuchte, die Worte mit einem Schulterzucken abzutun.
    »Das tut mir leid. Ich habe gar nicht gewußt, daß ich aussehe, als wäre ich auf der Hut. Ich bin durchaus nicht auf der Hut – das versichere ich Ihnen. Sie müssen mich für einen furchtbar steifen Kerl halten.«
    »Alles andere als steif, Peter.« Sie nahm seine Hand, als wäre das die natürlichste Geste der Welt, und ging neben ihm her den Gartenweg entlang. »Im Gegenteil! Sie sind ein außerordentlich aufregender Mann. Aufregend und vielleicht auch ein bißchen beängstigend.«
    Er hatte schon genügend Frauen kennengelernt, um diesen simplen Auftakt nicht als das zu erkennen, was er war. Aber seiner Eitelkeit war geschmeichelt, und er entschloß sich, das Spiel noch ein wenig fortzusetzen. Er fragte unschuldig:
    »Beängstigend? Das verstehe ich nicht.«
    »Sie sind so fertig – so in sich selber ruhend. Sie sind meinem Vater in so vielem ähnlich. Sie wissen so viel, daß andere Leute Ihnen offenbar gar nichts geben können. Sie beide nehmen das Leben hin, selbstverständlich wie eine Dinnerparty, nach der man satt und zufrieden aufsteht und weitergeht. Ich wünschte, ich könnte das.«
    »Dabei würde ich sagen, Sie können es ausgezeichnet!«
    Er applizierte diesen Hieb leichthin, wie ein Fechter, der einen Freundschaftskampf eröffnet. Zu seiner Überraschung runzelte sie die Stirn und antwortete ganz ernsthaft:
    »Ich weiß. Aber es sieht nur so aus. Es ist genauso wie bei einem Schüler, der etwas Auswendiggelerntes hersagt. Mein Vater ist ein guter Lehrer, und Basilio auch.«
    »Basilio?«
    »Der Mann, mit dem ich letzthin viel zusammen war. Er erhebt die Verantwortungslosigkeit zur Kunst.«
    Der Auftakt war doch

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