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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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ungewöhnliches Ersuchen, Herr Rienzi. Ich denke, es bedarf einer Begründung.«
    »Es ist eine Frage der Klarheit der Beweisführung, Herr Präsident. Wir gedenken, von späteren Zeugen gewisse Informationen zu bekommen, und werden dann zu bestimmten Punkten Sergeant Fiorellos Aussage hören müssen. Wenn wir ihn jetzt dazu befragen, stehen die Fragen in der Luft.« Er verbeugte sich förmlich vor dem Staatsanwalt. »Wir müssen uns jetzt nach dem Herrn Ankläger und nach seiner Reihenfolge der Zeugenaussagen richten.«
    Die Richter hielten eine kurze Beratung im Flüsterton ab, worauf der Präsident den Antrag genehmigte. Rienzi dankte ihm und setzte sich.
    Landon sah sich um, um zu sehen, was Ascolini von dieser Taktik hielt, doch war sein Gesicht hinter einem Vordermann verborgen, und Landon bemerkte nur Valerias klares klassisches Profil. In ihrem Gesicht Bosheit zu erkennen war genauso schwer wie in dem blassen jungfräulichen der Angeklagten Mord. Valeria hatte ihr Versprechen gehalten. Was immer Ninette erraten haben mochte: Valeria hatte ihr nichts verraten. Immer, wenn er sie in den letzten Wochen in Carlos Beisein getroffen hatte, hatte sie geschwiegen. Nur einmal, als sie mit ihm allein war, hatte sie ihm über das Haar gestrichen und geflüstert:
    »Du fehlst mir, Peter. Warum suchen sich Mädchen wie ich immer die Falschen aus?«
    Im übrigen vertraute ihr Landon und sah sich, wenn auch zögernd, zu einem gewissen Respekt genötigt.
    Ein neuer Zeuge wurde in den Zeugenstand geführt: Maria Belloni, die Frau des Ermordeten – die breite, mütterliche Person, die Anna Albertini unter der Tür des Bürgermeisterhauses begrüßt hatte. Jetzt, in ihren Witwenkleidern, schien sie zusammengefallen, alt, von Kummer und Einsamkeit niedergedrückt. Nachdem sie vereidigt worden war, wandte sich der Staatsanwalt mit der Zartheit eines Leichenbestatters an sie. Er sprach, als zitiere er die Verse eines Psalms.
    »Frau Belloni, wir teilen Ihren Schmerz. Wir bedauern von Herzen, Ihnen die Qual einer erneuten Befragung zumuten zu müssen. Aber ich muß Sie um den Versuch bitten, sich zu fassen und die Fragen des Herrn Präsidenten zu beantworten.«
    »Ich will es versuchen – ich will es versuchen.«
    »Sie sind eine sehr tapfere Frau. Ich danke Ihnen.«
    Er blieb in ihrer Nähe, während der Präsident seine Routinefragen stellte.
    »Sie heißen Maria Alessandra Belloni und sind die Frau des Verstorbenen?«
    »Ja.«
    »Das Gericht würde gern mit Ihren eigenen Worten hören, was geschah, kurz bevor Ihr Gatte erschossen wurde.«
    Einen Augenblick schien es, sie würde vollkommen zusammenbrechen. Dann faßte sie sich und begann ihre Aussage, zögernd zunächst, doch dann mit wachsender Leidenschaftlichkeit und Hysterie.
    »Wir saßen beim Essen wie jeden Tag – mein Mann, die Jungens und ich. Wein war auf dem Tisch und Kuchen und ein Reisgericht. Es war ein Festessen, wissen Sie. Mein Mann hatte Geburtstag. Wir waren glücklich, wie eine Familie es sein soll. Dann klingelte es. Ich gehe zur Tür. Die da steht draußen«, sie streckte eine anklagende Hand gegen Anna Albertini. »Sie sagt, sie will meinen Mann sprechen. Sie sieht so klein aus und so einsam, und ich denke, ich will ihr was Gutes tun. Ich sage ihr, sie soll 'reinkommen und mit uns essen. Sie sagt nein, es ist eine persönliche Sache und es dauert nur einen Augenblick. Ich – ich gehe 'rein und rufe meinen Mann. Er steht vom Tisch auf. Er hat noch die Serviette um den Hals. Und ein bißchen Soße am Mundwinkel. Ich – ich erinnere mich noch daran. Die Soße an seinem Mundwinkel. Er geht 'raus. Dann – dann hören wir die Schüsse. Wir stürzen hinaus – und da liegt er in der Tür mit Blut auf der Brust. Sie hat ihn umgebracht!« Sie schrie die letzten Worte. »Sie hat ihn umgebracht wie ein Tier! Sie hat ihn umgebracht …« Sie brach ab und barg ihr Gesicht schluchzend in ihren Händen.
    Landon sah zu Anna Albertini hinüber. Sie hatte die Augen geschlossen und schien einer Ohnmacht nahe zu sein. Rienzi sprang auf.
    »Herr Präsident! Meine Mandantin ist einer außerordentlichen Belastung ausgesetzt. Ich darf bitten, ihr ein Glas Wasser zu geben.«
    Der Präsident nickte zustimmend.
    Der Gerichtsschreiber reichte Anna ein Glas Wasser von seinem Tisch, das sie dankbar trank. Währenddessen stand der Staatsanwalt neben Maria Belloni und sprach beruhigend auf sie ein. Fast drei Minuten vergingen, bis der Präsident mit seinen Fragen

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