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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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fortfuhr:
    »Frau Belloni, haben Sie die Angeklagte vorher, das heißt, bevor sie zu Ihrem Haus kam, jemals gesehen?«
    »Nur als kleines Mädchen während des Krieges.«
    »Haben Sie sie erkannt?«
    »Nicht gleich. Erst später.«
    »Wissen Sie, warum sie Ihren Mann umgebracht hat?«
    »Weil er seine Pflicht getan hat.«
    »Würden Sie uns das erklären, bitte?«
    »Während des Krieges war mein Mann der Führer der Partisanen in unserem Bezirk. Er war für viele verantwortlich. Und es gab Verräter, die Geheimnisse an die Deutschen und an die Faschisten verrieten. Die Mutter von der da war solch eine Verräterin. Ihretwegen wurden viele unserer Söhne gefangengenommen, gefoltert und umgebracht. Also wurde sie verhaftet und in einem Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Mein Mann war der Vorsitzende des Gerichts und hat später auch das Exekutionskommando befehligt. Aber das war im Krieg. Er mußte seine Männer schützen – und auch ihre Frauen.« Maria Belloni wirkte plötzlich abwesend, als versänke sie aus der Wirklichkeit der Verhandlung in die Einsamkeit ihres Kummers und Schreckens. »Aber das war lange vorbei, zu Ende, erledigt, wie alles, was im Krieg passiert ist. Dann … das … Es ist wie ein Alptraum. Ich hoffe immer, ich wache auf und finde meinen Mann wieder neben mir. Aber er ist nicht da – er ist nicht da!«
    Sie brach ab und schluchzte leise vor sich hin. Mitleidiges Murmeln erhob sich unter den Zuhörern, doch der Präsident stellte die Ruhe sofort wieder her. Er sagte:
    »Hat die Verteidigung irgendwelche Fragen an die Zeugin?«
    »Wir haben drei Fragen, Herr Präsident. Die erste ist: Auf welche Weise hat Signora Belloni Kenntnis von der Anklage und der Verhandlung gegen Anna Albertinis Mutter sowie von der Exekution erlangt?«
    »Würden Sie die Frage beantworten, bitte.«
    Maria Belloni hob den Kopf und starrte geistesabwesend auf den Richtertisch.
    »Mein Mann hat es mir erzählt, selbstverständlich. Und die anderen, die dabei waren. Wie denn sonst? Ich mußte mich um die Kinder kümmern und um den Haushalt.«
    »Danke. Die nächste Frage, Herr Rienzi?«
    »Mit Erlaubnis des Gerichts würde ich sie der Zeugin gerne direkt stellen.«
    »Bitte.«
    Rienzi stand auf und ging langsam zum Zeugenstand. Sein Mitgefühl schien nicht geringer als das des Staatsanwalts.
    »Signora Belloni, war Ihr Mann ein guter Ehemann?«
    Sie antwortete umgehend und voll Bitterkeit:
    »Ein guter Ehemann! Ein guter Vater! Er hat uns geliebt, für uns gesorgt – sogar in der schlimmsten Zeit haben wir zu essen gehabt. Nie war er schlecht zu jemandem. Der Herr Präsident der Republik hat ihm einen goldenen Orden geschickt und gesagt, er sei ein Held. So ein Mann war er. Dann kam die da und hat ihn umgebracht wie einen Hund!«
    Rienzi wartete einen Augenblick, bis sie sich wieder gefaßt hatte, und dann fragte er unversehens:
    »War Ihr Mann Ihnen immer treu?«
    Der Staatsanwalt sprang auf.
    »Herr Präsident, ich erhebe Einspruch!«
    Der Präsident schüttelte den Kopf.
    »Wir finden die Frage hierhergehörig und berechtigt. Die Zeugin wird ersucht, sie zu beantworten.«
    »Selbstverständlich. Eine Frau merkt so etwas ja, nicht wahr? Er war ein guter Ehemann und ein guter Vater. Er hat nie einen Fehltritt begangen.«
    »Danke, Signora. Das ist alles.«
    Landon konnte beim besten Willen nicht einsehen, was Rienzi mit dieser Frage erreichen wollte. Auch das Publikum schien ähnlich zu empfinden. Landon war sogar etwas enttäuscht und hatte den Eindruck, Carlo kämpfe gegen die Unerschütterlichkeit der Zeugin wie Don Quichote gegen Windmühlenflügel.
    Während Maria Belloni den Zeugenstand verließ, beriet sich der Präsident im Flüsterton mit den anderen Richtern. Dann wandte er sich an den Staatsanwalt.
    »Meine Kollegen weisen mit Recht darauf hin, daß kein Zweifel mehr über die Umstände des Todes von Gianbattista Belloni besteht. Sie betonen jedoch, daß nunmehr der zweite Punkt der Anklage von der Staatsanwaltschaft noch bewiesen werden muß. Und zwar, daß der Mord mit Vorsatz und Vorbedacht ausgeführt wurde.« Der Staatsanwalt konnte sich angesichts seines eindeutigen Falles ein Lächeln erlauben. Er sagte:
    »Nachdem wir den Tatbestand und das Motiv dargelegt haben, Herr Präsident, wird die Aussage unserer nächsten Zeugen den Vorsatz erweisen. Der erste ist Giorgio Belloni, der Sohn des Ermordeten.«
    Giorgio Belloni war ein dünner Jüngling mit einem schmalen Gesicht, ruhelosen Händen und

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