Tochter des Schweigens
wir ihn diesmal überreden, ein bißchen schneller zu arbeiten«, sagte Rienzi mit einem Anflug von Galgenhumor, dann wandte er sich in einem plötzlichen Entschluß Landon zu. »Ich habe kein Recht, dich darum zu bitten, Peter. Außer meiner Dankbarkeit kann ich dir nichts für deine Hilfe anbieten. Aber ich möchte gern, daß du in Siena bleibst und mir hilfst. Trotz Galuzzi möchte ich dich gern als Zeugen der Verteidigung befragen, falls es mir gelingt, die Genehmigung des Gerichts dafür zu bekommen.«
»Wie du willst.«
Landon sagte es so beiläufig, daß er beinah das Gefühl hatte, sich zu verraten. Aber er konnte einfach nicht weiter schauspielern. Und als Carlo ihn verblüfft und entzückt anstarrte, sagte er gereizt: »Um Gottes willen, Mann! Du hast doch die ganze Zeit gewußt, ich würde ja sagen. Laß uns jetzt kein Drama veranstalten. Und erwarte keine Wunder.«
»Wunder, Peter?« Rienzi lachte erleichtert. »Das ist ja schon ein Wunder.«
»Und noch etwas«, sagte Landon düster, in der Absicht, das Thema zu wechseln. »Du weißt, ich habe mit Ascolini zu Mittag gegessen. Er möchte dir helfen. Er bietet dir eine Million Lire und gewisse Notizen, die er über den Fall gemacht hat.«
»Das kann ich nicht annehmen«, sagte Rienzi kühl.
»Ich habe ihm schon gesagt, du würdest wahrscheinlich ablehnen. Aber es wäre vielleicht gut, ihm ein paar Zeilen mit deinem Dank zu schicken.«
»Das werde ich tun –«, sagte er. »Weißt du, Peter, daß ich in diesem Augenblick Valeria und ihrem Vater herzlicher zugetan bin als je zuvor? Und weißt du, warum? Weil ich dich zum Freund habe und weil es jemanden gibt, der mich nötiger braucht als sie – Anna Albertini. Ich habe plötzlich ein Lebensziel, einen Fall, um den ich mir Sorgen machen kann. Und das macht mich sehr glücklich.«
Glücklich? Landon kam er eher vor wie ein Mann, der im Angesicht des Galgens einen bitteren Witz macht. Aber was konnte er dazu sagen? Wenn man mit der Frau eines Mannes geschlafen hatte – durfte man ihm dann auch noch die Illusionen rauben? Es war eine schlimme Erfahrung, die Landon in diesem Augenblick machte. Er lächelte dabei, aber ein bitterer Nachgeschmack blieb zurück; er spürte ihn jede Stunde, jeden Tag, bis Anna Albertini vor Gericht stand.
5
Die Eröffnung eines Strafprozesses ist ein seltsam theatralisches Ereignis. Tradition und Öffentlichkeit verlangen nicht nur, daß Gerechtigkeit zu geschehen habe, sondern daß dabei gleichzeitig eine dramatische Unterhaltung geboten wird. Durch Mitleid und Schrecken sollen die Leidenschaften beruhigt werden, die durch das Verbrechen aufgewühlt worden sind.
Viele Menschen glauben, britische Prozesse seien unterhaltender als kontinentale, doch soll kein Delinquent sie unbedacht unterschätzen. Die britische Tradition geht unmittelbar auf den germanischen Brauch von Untersuchung, Verhör und Auseinandersetzung zurück. Das Gericht ist eine Stätte rednerischen Streites, dem ein Richter und eine Jury Vorsitzen. Anklage und Verteidigung führen ihre Beweise mittels Verhör und Kreuzverhör. Sie disputieren miteinander über Tatsachen und deren Auslegung. Sie lassen sich in Wortgefechte ein, wie Ritter in den alten Turnieren.
Die lateinische Methode ist, im Gegensatz dazu, eine auf das römische Recht gegründete Inquisition, modifiziert durch die Methode der Kanoniker. Sie besteht aus einer richterlichen Voruntersuchung, deren Ergebnis dem Gericht in Form einer Anklageschrift vorgelegt wird.
Der Angeklagte wird nicht gefragt, ob er sich schuldig oder nicht schuldig bekennt. Es gibt keinerlei Auseinandersetzung, sondern lediglich eine Darlegung des Tatbestandes, Plädoyers der Anklage und der Verteidigung und dann ein Urteil, das der Vorsitzende auf Grund der Entscheidung des Kollegiums aus fünf Richtern fällt, von denen drei Laien sind.
Für jemanden, der an die britische Tradition gewöhnt ist, hat diese inquisitorische Methode stets etwas leise Unheimliches, Finsteres an sich, da sie das verbreitete Prinzip zu verletzen scheint, daß die Anklage die Beweislast zu tragen hat und daß jeder so lange unschuldig ist, wie seine Schuld nicht bewiesen ist. In der Praxis scheint die lateinische Methode von der Voraussetzung auszugehen, daß die Wahrheit auf dem Grunde eines tiefen Brunnens liegt und daß der Angeklagte schuldig ist, bis die Inquisition genug Tatsachen ans Licht gebracht hat, um seine Unschuld nachzuweisen. Letzten Endes wird allerdings der
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