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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Aussicht, unsere Patienten zu heilen, wenn diese sich über ihre Krankheit völlig klar sind und auch geheilt werden wollen. Jeder Patient wird sich der Behandlung zunächst widersetzen, sich aber, wenn die Beschwerden akut sind, darein ergeben – ausgenommen solche Fälle, wie zum Beispiel Paranoia, bei denen der Patient keinerlei Vernunftgründen zugänglich ist. In Anna Albertinis Fall gibt es keine Beschwerden, und sie sieht auch nicht die Notwendigkeit einer Behandlung. Solange sie dich hat, ist sie nicht krank, sondern geheilt, und folglich verschließt sie sich jeder weiteren heilenden Einflußnahme. Du hast ihr vergeben – folglich ist ihr überhaupt vergeben. Sie flüchtet immer weiter, Carlo, und du, du mein Freund, bist ihr Begleiter auf dieser Flucht.«
    »Doch nur«, sagte Rienzi ironisch, »– nur, wenn deine Vermutung zutrifft. Und vor Gericht hast du zur Zufriedenheit der Richter bewiesen, daß sie nicht zutrifft! Was glaubst du nun wirklich, Peter?«
    »Noch immer dasselbe«, sagte Landon. »Aber aus einem andern Grunde. Du selber unterstützt ihre Unzulänglichkeit und Unzurechnungsfähigkeit. Sie wird sich weiter an dich klammern. Sie wird jede Forderung, die du an sie stellst, akzeptieren. Aber du wirst sie nie wieder loswerden. Und wenn du sie enttäuschst.«
    Er brach ab, der Gedanke stand wie ein Verhängnis zwischen ihnen. Rienzi drängte: »Und wenn ich sie enttäusche, Peter?«
    »Der Tod ist ihr jetzt schon vertraut«, sagte Landon düster. »Er hat keine Schrecken für sie, und er löst alle ihre Probleme. Sie wird sich entweder das Leben nehmen oder versuchen, dich umzubringen.«
    Landon ließ ihn diese Vorstellung eine Weile realisieren und fragte dann:
    »Glaubst du mir, Carlo?«
    »Nein«, sagte Carlo Rienzi, »ich fürchte, nein.«
    Er ließ den Motor an, fuhr zurück auf die Hauptstraße und dann weiter in das Hochland hinein, in Richtung auf das Hospiz der Schwestern vom Guten Hirten.
    Am Spätnachmittag saß Alberto Ascolini zwischen seiner Tochter und Ninette Lachaise auf einer niedrigen Steinbank neben dem Springbrunnen im Garten. Einen Bauernhut auf seiner weißen Mähne und gestützt auf einen Stock, brachte er die erste und letzte Entschuldigung für die Fehler seines Lebens vor.
    »So mußte es wohl enden – der alte Narr sitzt mit den Frauen im Garten. Ich habe mich immer davor gefürchtet, aber heute scheint mir zum erstenmal, als ob das auch seine Freuden haben könnte. Als ich in diesem Dorf hier ein Bauernjunge war, fuhren die damaligen Herren dieser Villa auf dem Weg nach Siena mit ihren Kutschen oft durch San Stefano. Und die Damen – sie sahen für mich wie Prinzessinnen aus – pflegten die Taschentücher an ihre Nasen zu drücken, wenn sie durch das Dorf kamen. Schon damals, während ich am Straßenrand die Hand bettelnd nach Münzen ausstreckte, wußte ich, eines Tages würde auch ich eine solche Kutsche haben und eine Frau mit einem Spitzentaschentuch. Das alles – und mehr – habe ich erreicht. Ich habe mit Königen und Präsidenten diniert und eine Prinzessin am Arm zu einem Galaempfang geführt. Und was zählt das alles jetzt? Nicht gerade gar nichts mehr – das kann ich nicht sagen. Es war eine schöne Zeit. Nur habe ich immerzu von dem rotznäsigen Bauernjungen geträumt und versucht, ihn zu mir in die Kutsche zu heben – doch das ist mir nie gelungen. Und ich glaube, daß ich mich für ihn an der Welt gerächt habe, die ich mir vom Misthaufen aus erobert habe. An der Welt – und sogar an dir, Valeria, mein Kind! Und das bedauere ich am allermeisten. Du hattest recht, als du sagtest, ich hätte dich für alles, was ich gab, zahlen lassen. Das war die bitterste Lektion, die der Bauernjunge jemals lernen mußte. Er hat nie glauben wollen, daß es Geschenke gibt. Er hat es jetzt gelernt. Von ihnen, Ninette, und sogar von Ihrem dickköpfigen Landon.« Seine Stimme versagte, und er blickte bekümmert auf seine Tochter. »Vergib mir, Valeria, wenn du kannst. Wenn nicht, dann glaube mir wenigstens, daß ich dich liebe.«
    »Das ist genug, dottore«, sagte Ninette Lachaise leise. »Die Liebe ist genug. Und es genügt, daß Valeria von ihrem Vorhandensein weiß.«
    Ascolini schwieg eine Weile nachdenklich. Dann sagte er: »Und jetzt wollen wir sehen, ob wir wirklich weiser geworden sind. Weißt du jetzt wenigstens, Kind, daß ich dir die Wahrheit sage?«
    »Ja.«
    »Dann laß uns sehen, was wir für deine Ehe tun können. Sag mir ehrlich, was ist

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