Tochter des Schweigens
zwischen den beiden, daß Landon schon einen Augenblick glaubte, er hätte den Ereignissen der letzten Nacht zuviel Bedeutung beigemessen. Dann sagte Carlo leichthin:
»Galuzzi rief heute morgen an und teilte mir mit, daß Anna heute zu den Schwestern vom Guten Hirten gebracht wird. Er meint, ich könne sie heute nachmittag besuchen. Hättest du wohl Lust, mitzukommen, Peter?« Er lächelte entschuldigend. »Ich weiß, ich habe von dir schon soviel erbeten, Peter, glaub mir, ich weiß es. Valeria hat mir erzählt, daß ihr, Ninette und du, heiraten wollt, und ich kann mir denken, daß ihr so bald wie möglich nach Rom wollt. Aber ich wäre dir so dankbar, wenn du sie dir noch einmal mit den Augen des Arztes ansehen würdest.«
»Wenn du willst, selbstverständlich, obwohl ich glaube, daß ich Galuzzis Diagnose nichts hinzuzufügen habe. Er ist ausgezeichnet, und ich würde großes Vertrauen zu ihm haben.«
»Ich weiß. Aber er ist immerhin Regierungsbeamter. Ich hätte gern noch eine private Beratung.«
»Was wird Galuzzi von meinem Besuch halten?«
»Er hat ihn schon gutgeheißen. Bitte komm, Peter. Wir können um drei hier losfahren und gegen fünf zurück sein.«
»Valeria und ich werden uns inzwischen um Ninette kümmern«, sagte Ascolini. »Heute abend essen wir dann alle zusammen, und dann dürfen Sie endlich gehen!«
Es klang so harmlos, daß Landon fast übersehen hätte, wozu man sie beide wieder nötig hatte. Carlo wollte mit dem Mädchen allein sein. Ascolini brauchte Ninette als Verbündete gegen Valeria. Sie bedienten sich seiner immer noch – und er würde nicht frei werden, bis Ninette und er diesem Haus den Rücken gekehrt und sich in die grünen Hügel von Frascati zurückgezogen haben würden.
Die erste Ahnung des Herbstes lag in der Luft, als Landon und Rienzi die Straße nach Arezzo entlang zum Hospiz der Schwestern vom Guten Hirten fuhren. Carlos gute Laune schien verflogen zu sein ; er war unruhig und in Gedanken versunken. Als sie den ersten Höhenzug erreichten, hielt er an einer Stelle seitab der Straße, von der aus man das wilde, düstere Tal überblicken konnte. Sie zündeten sich Zigaretten an, und Carlo begann mit ungeschickten Worten, die Gelegenheit zu einer Aussprache wahrzunehmen.
»Wir haben ein wenig Zeit zum Reden, Peter. Ich möchte gern verschiedenes mit dir besprechen.«
»Nur zu.«
»Zunächst einmal: Valeria. Es tut mir leid und ich schäme mich sehr für das, was gestern abend passiert ist. Aber was ich gesagt habe, war dennoch die reine Wahrheit. Ich empfinde nichts mehr für sie. Mehr denn je brauche ich gerade jetzt eine gute Ehe. Aber ich weiß, wie es kommen wird. Meine Karriere wird steil sein, und du weißt so gut wie ich, daß das vor allem Arbeit bedeutet. Ohne Liebe aber werde ich mich verausgaben, ohne neue Kräfte sammeln zu können. Ich werde bald völlig fertig sein. Eine verständnisvolle Freundin könnte da vielleicht helfen, aber die habe ich auch nicht. Ich bin einsam, Peter. Ich fühle mich alt und erschöpft.«
Sein Selbstmitleid reizte Landon zwar, aber er versuchte es dennoch mit sanftem Zureden.
»Hör mal, Carlo. So eine Reaktion ist die natürlichste Sache der Welt. Du hast eben einen anstrengenden und aufsehenerregenden Fall durchgefochten. Das muß nach diesem Triumph einfach eine Depression erzeugen. Sei nicht vorschnell. Warum willst du es nicht erst einmal mit Valeria versuchen?«
Rienzis Ausdruck wurde hart. Er schüttelte den Kopf.
»Es geht einfach nicht mehr, Peter. Ich habe zu viele Nächte allein in meinem Bett verbracht – sie zu viele in fremden. Wo soll man nach so etwas da wieder anfangen?«
Landon gab ihm zunächst Ninettes Antwort:
»Einer muß den ersten Schritt unternehmen und sagen: Es tut mir leid. Ich denke, du solltest das tun.«
»Und dann? Wie willst du die schmutzige Vergangenheit auslöschen?«
Landons Geduld verflog.
»Du lebst mit ihnen, Mann! Du lebst mit ihnen und solltest lernen, dankbar für das zu sein, was dir geblieben ist. Verdammt noch mal, Carlo! Du bist schon ein großer Junge! Was willst du eigentlich? Jeden Abend eine neue Jungfrau? Was für ein Trost liegt denn da drin, um Gottes willen? Das ist doch entsetzlich!«
Zu seiner Verwunderung lachte Rienzi. Dann sagte er:
»Ich fürchte, du wirst mich nie verstehen.« Er rauchte eine Weile schweigend, dann sagte er ruhiger: »Du traust mir nicht viel zu, Peter. Du scheinst überhaupt nichts von mir zu halten. Ich schlage schon nicht
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