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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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seine Gedanken waren auf das Naheliegende, das Praktische gerichtet. Doch Chimako erzählte, dass ihre eigene Mutter, die aus einem Samurai-Geschlecht stammte, die Erscheinung gesehen und von ihr berichtet hatte. Und zweifellos war es auch in der Vergangenheit zu Begegnungen mit ihr gekommen. Wer sie als Erste gesehen hatte, konnte Mutter nicht sagen, jedenfalls gingen die Berichte bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts zurück. Ich hörte zu, was Mutter erzählte, während in mir die brennende Neugier erwachte, mehr über dieses Traumwesen in Erfahrung zu bringen. Ich wollte sie nicht nur sehen, sondern auch mit ihr sprechen. Als sie mich das sagen hörte, machte Mutter ein entsetztes Gesicht. Das sei ein vorwitziger und ganz unmöglicher Gedanke!

    Mutter sollte nicht mehr erleben, wie es mir trotzdem gelang.
    Sie war längst bei jenen Ahnen zur Ruhe gebettet, deren Andenken sie mit so viel Ehrfurcht bewahrt hatte.
    Ich jedoch beendete mein Studium. Danach drehte sich mein Leben um das Krankenhaus, in dem ich fortan arbeitete. So vergingen die Tage, während politische Wolken sich anhäuften. Man sprach von Krieg. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der Überfall auf Pearl Harbour trafen Japan wie ein Hammerschlag. Überall im ganzen Land machten sich Misstrauen und Angst breit. Flammende Reden wurden gehalten, Hass wurde geschürt, das Militär zum Opfer aufgerufen. Die Bevölkerung wurde aggressiv und fanatisch gemacht. Viele erlagen unkritisch dem Opferrausch. Die patriotische Begeisterung schlug auch mich zunächst in ihren Bann. In meiner Kindheit hatte ich Schlachtgesänge auswendig gelernt, und viele Geschichten meiner Kinderjahre handelten von Helden im Krieg. Man verehrte diese Helden, und Opfer wurden gerne gebracht. Doch das hier war anders. Individuelle Tapferkeit galt kaum noch etwas. Jetzt sprach man von Menschenmaterial. Der Begriff war mir zuwider. China wurde von Bürgerkriegen zerrissen, Japan besetzte die Mandschurei. Die Presse wurde mit Siegesmeldungen gefüttert. Die Bevölkerung jubelte und ließ sich blenden. Doch unter dem Deckmantel nationalistischer Propaganda geschahen zu viele furchtbare Dinge, von denen nur wenige durchsickerten. Die Zensur war allgegenwärtig. Vieles, was wirklich geschah, erfuhren wir erst nach Kriegsende im Tokioter Kriegsverbrecherprozess. Tatsächlich mussten wir für den imperialistischen Wahn unserer Militärclique, für die Grausamkeiten und Massaker teuer bezahlen. Damals brach für viele Menschen eine Welt zusammen. Heute kann ich zugeben, dass ich es
schon lange geahnt hatte. Doch ich hatte mit niemandem darüber gesprochen. Kritik war nicht erlaubt. Ich hätte sie mit dem Leben bezahlt. Wenn ich gegen Kriegsende Verletzte behandelte, war ich entsetzt zu sehen, wie verlottert, hungrig und dürr sie waren. Immer weitere Opfer wurden gefordert. Die Bevölkerung war am Verhungern, doch alle noch vorhandene Nahrung war für die Soldaten an der Front vorbehalten. Selbst Matsuo, der ja kaum sein Medizinstudium begonnen hatte, musste Dienst in einem Lazarett leisten, wo er Schreckliches erlebte. Tokio lag bereits in Trümmern. Und in dem Feuersturm, den das amerikanische Flächenbombardement im März 1945 auslöste, verloren noch zusätzliche hunderttausend Menschen ihr Leben. Doch das alles ist sattsam bekannt. Ich komme zur  – für mich  – eigentlichen Sache.
    Fast zwanzig Jahre lang hatte ich das Traum wesen nicht mehr gesehen. Meine Arbeit, dann der Krieg, die vielen notleidenden und unterernährten Menschen, hatten mich vollkommen in Anspruch genommen. Am 14. August 1945 kam ich früher als sonst von meiner Arbeit im Krankenhaus zurück. Unser Haus war nach wie vor unversehrt, obwohl es noch vorkam, dass Zeitbomben im Schutt hochgingen und ganz in der Nähe ein großer Krater die Straße versperrte. Ich war vierundzwanzig Stunden lang pausenlos im Einsatz gewesen. Mein Chefarzt hatte Mitleid mit mir und schickte mich nach Hause. Ich wusch mich mit Regenwasser  – Leitungswasser gab es nicht mehr  –, verzehrte die uns zugeteilte Ration (weißer Rettich, zwei Zwiebeln und eine Handvoll Reis) und schlief todmüde ein. Und im Traum erschien mir die Frau. Sie hielt einen langen Stab in der Hand; ich begriff, dass es eine Naginata war, ein Speer. Auf alten Bildern wurden mittelalterliche Kriegerinnen oft mit dieser Waffe

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