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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Herstellung der Ordnung. Man ging davon aus, dass die mittlere Dauer einer kaiserlichen Regierungszeit für gewöhnlich zwanzig Jahre betrug. Ein neuer Kaiser oder eine Kaiserin  – ein neuer Schrein! Dadurch entstand die Vorstellung, die Zahl Zwanzig sei die ideale Bezugsgröße, um Zeitabschnitte zu messen. Die Baumeister waren an den magischen Riten der Priesterschaft beteiligt, denn das Erbauen eines Schreins gehörte zu den heiligsten Zeremonien im alten Japan. Und später hielten die Feudalherren an diesem Brauch fest, um das Volk mit guten Vorzeichen zu beglücken. Es waren böse Zeiten. Es gab Hungersnöte und blutige Kriege. Die Sieger bereicherten sich, die Verlierer verarmten. Das Sprichwort sagt: ›Der Wolf wechselt nie sein Fell.‹ Aber die Daimyo zerstritten oder verbündeten sich, je nach Neigung, Vorteil und Laune. Die wenigsten konnten einander vertrauen. Man lebte von Verrätern umgeben, und in jeder Freundschaft lag eine gewisse Angst.
    Aber zunächst muss ich vom Daimyo Oda Nobunaga erzählen, dem mächtigsten Mann seiner Zeit. Prüfen wir sein Leben im heutigen Licht, so zeichnet sich eine schillernde Persönlichkeit ab. Er war voll und ganz ein Mensch seiner Zeit, hätte aber ebenso gut in unserem modernen Zeitalter als Staatsmann, Unternehmer oder genialer Erfinder die Welt aufhorchen lassen. Er war tapfer, risikofreudig, sinnlich, er liebte das Leben, umgab sich mit Philosophen, Wissenschaftlern und Künstlern, die er großzügig förderte. In einer Zeit der lockeren Sitten war er der Liebhaber schöner Frauen, doch selten der eines Mannes. Und obwohl er Reichtümer in Hülle und Fülle besaß, hatte er ein Gefühl für die Enterbten.
Diese Eigenschaft des Mitgefühls entstand in seiner frühen Jugend, als er noch den Kindernamen Kipposhi trug und in seiner Heimat Owari als Schelm und Vagabund bekannt war. Seine wohlgeborenen Eltern schämten sich sehr, aber Strafen und Ermahnungen halfen bei ihm nicht. Er scherte sich nicht um Konventionen, setzte sich für die Schwachen ein, entlarvte schonungslos jede Scheinheiligkeit. Doch er überschritt eine Grenze, als er bei der Bestattung seines ungeliebten Vaters Nobuhide betrunken erschien und sich derart rüpelhaft benahm, dass die entsetzten Anwesenden ihn als schwachsinnig bezeichneten. Sein älterer Bruder Masahide hatte den Unruhestifter stets in Schutz genommen; er war ein wertvoller und gütiger Mentor für ihn gewesen. Doch diese Schmach verletzte ihn zutiefst. Masahide, ein sanfter Mann, wählte den einzigen Weg, den er kannte, um das Unrecht wiedergutzumachen  – das Opfer. Und so wurde Masahide nicht lange danach bei seinem Vater zur Ruhe gebettet, dessen Ehre zu wahren er gestorben war.
    Das war ein schwerer Schlag für den heißblütigen, dreisten Halbwüchsigen. Masahide war der einzige Mensch gewesen, auf dessen Urteil er Wert legte. Kipposhi beweinte seinen Bruder, verwünschte bitter den eigenen Leichtsinn. Im Gedenken an Masahide änderte er seinen Lebenswandel. Und er opferte ihm jedes Jahr in dem Tempel, den er später dem Verstorbenen zu Ehren errichten ließ. Vorerst aber musste der junge Mann sein Geburtsrecht verteidigen. Obwohl Nobunaga der legitime Nachfolger war, zerstritt sich der Oda-Clan und wählte Nobunagas Widersacher Hashiba Yoshimune als Herrscher des Landes Owari. Doch Nobunaga hatte Verbündete, die an ihm hingen, weil er sie reich zu belohnen wusste. Er erwies sich als geschickter Ränkeschmiede, als Feldherr, der seine Krieger mit flammenden Reden begeisterte. In den ersten Jahren stand er nie hinter
dem Kampfgewühl auf einem Hügel und beobachtete die Schlacht, wie so mancher Feldherr es zu tun pflegte. Hob er den eisernen Kriegsfächer und gab das Zeichen zum Angriff, ritt er zum Klang der Muschelhörner an der Spitze des Heeres. Die Krieger stürmten, jauchzten und sangen um ihn herum. Sie glaubten, er wusste von einem Omen, dass er nicht auf dem Schlachtfeld fallen könnte. So jedenfalls erzählten es die Krieger. Das gab ihnen großes Glücksgefühl und Mut. In jenen Zeiten schmückten sich die Fürsten zum Kampf wie zu einem Fest. Nobunaga war stets der Schönste. Über seinem schweren, seidenen Mantel trug er einen Harnisch aus vergoldeten Eisenplättchen, mit Seidenbändern verschnürt. Auf seinem Helm leuchteten die Kennzeichen der Macht: das

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