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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Aus diesem Familienzweig kam der Baumeister Okabe Mataemon, der im Dienst des Fürsten zunehmend Ruhm und Ehre erlangte. Mit seinem Wissen und seiner verfeinerten Bautechnik konnte Mataemon auf eine Überlieferungslinie zurückblicken, die bis zur Regierungszeit der Kaiserin Jito im sechsten Jahrhundert zurückreichte. Mataemon verfügte über hundert gelernte Handwerker und Zimmerleute sowie über ungefähr die gleiche Zahl von Schülern. Er hatte den berühmten Ninomaru -Palast erbaut und war auch maßgebend an dem Bau des Kaiserpalastes
in Kyoto beteiligt gewesen, der im großen Brand von 1631 zerstört wurde.
    Es war im 4. Jahr Tensho (1574 nach moderner Zeitrechnung), als sich ein Gesandter mit seinem Gefolge bei Maeda Toshiie meldete und ihn wissen ließ, dass der Daimyo Oda Nobunaga nach seinem Baumeister schicke. Er bitte diesen, sich unverzüglich auf den Weg zu machen, und zwar noch in dieser Nacht. Der Kago   – die Tragsänfte  – warte bereits. Maeda Toshiie entbehrte Mataemon nicht gerne, aber Nobunagas Wunsch war ihm Befehl. Er ließ den Baumeister holen, der in aller Eile von seiner Familie Abschied nahm und in dem Kago Platz nahm. Die Träger waren in unauffälliges Schwarz gekleidet. Fackelträger liefen voraus. Der Weg von Kanazawa nach Azuchi, wo Nobunaga residierte, war weit. Doch in den Raststätten am Weg war ihr Kommen stets vorbereitet, ausgeruhte Träger warteten, um die Stangen der Sänfte zu schultern. In einem Gewaltmarsch von zwei Tagen und zwei Nächten erreichten die Reisenden ihr Ziel. Man ließ Mataemon kaum Zeit, ein Bad zu nehmen und seine Kleider zu wechseln. Schon geleitete ihn ein Kämmerer zu dem Daimyo, der ihn in seinen Privaträumen empfing. Mit tiefer Verbeugung sank der Baumeister auf die Knie. Seine Stirn berührte den Boden. Der Daimyo hatte vor einem kleinen Tisch aus erlesenem Birkenholz Platz genommen. Für ein paar Atemzüge betrachtete er den Baumeister, ohne dass sich ein Muskel in seinem Gesicht regte. Dann winkte er ihn mit leichter Bewegung näher an sich heran. Mataemon bewegte sich respektsvoll vorwärts. Er sah vor sich einen noch jugendlichen Mann mit scharfen Gesichtszügen und leichten, lauernden Bewegungen. Seine Augen waren groß, hellgolden; sie zeigten eine Nachdenklichkeit, über die Mataemon sich wunderte und die ihn rührte. Diese Schwermut passte nicht im Geringsten zu seiner Kleidung, die eine sonderbare Farbauswahl
zeigte. Hätte er das kräftige Blumenmuster, das pfauenblaue und grüne Seidengewebe an einem Schauspieler auf der Bühne gesehen, wäre Mataemon in keiner Weise überrascht gewesen. Doch an Nobunaga war nichts Verweichlichtes, er trug diese grellen, farbenprächtigen Gewänder mit derartiger Selbstverständlichkeit, dass jeder, der ihn sah, auf Anhieb wusste: Hier kommt der Herrscher!
    Nobunaga war nicht allein. Aus den Augenwinkeln nahm Mataemon einen jungen Pagen wahr, der etwas abseits kniete und offenbar zugegen sein durfte, denn der Daimyo befahl ihm nicht, den Raum zu verlassen. Erst beim zweiten Blick merkte der Baumeister, dass dieser liebreizende Junge eigentlich ein Mädchen war. Ihr Haar war lang und dick und so schwarz, dass es fast purpurn schimmerte, und auf eine Weise geschnitten, dass es wie ein Helm das feine Gesicht umrahmte, wobei sie nach Jungenart ihr Seitenhaar in elegant gedrehten Locken an den Wangen lose gebauscht trug. Sie hatte ein längliches Gesicht, die Wangenknochen waren hoch und ausgeprägt, der Mund voll und weich und sinnlich. Der Blick ihrer funkelnden Augen war neugierig und scharf  – gebieterisch.
    Mataemon fragte sich, wer diese junge Frau wohl sein konnte. Nobunaga lebte in einer Zeit, in der die Zentralregierung noch verlangte, dass Männer seiner Rangstufe zwei Nebenfrauen hatten. Das sollte die Möglichkeit verringern, ohne Nachkommen zu sterben, die den Namen des Geschlechts fortführen konnten. Und es war stets die erste Frau, die diese Nebenfrauen aus Familien ihres eigenen Ranges auszuwählen hatte. Die Stellung der Nebenfrauen war, obwohl weniger einflussreich, ebenso geehrt wie die Stellung der rechtmäßigen Gattin. Mataemon wusste, dass Nobunaga von seiner Gattin nur Söhne hatte. Diese Schönheit mochte die Tochter einer Nebenfrau sein oder die Nebenfrau selbst. Ihre Anwesenheit
und ihre Verkleidung waren zwar ungewöhnlich, aber

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