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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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dass Nobunaga ihm anbot, ein beispielloses Meisterwerk zu gestalten. Geld spielte keine Rolle, unbegrenzte Mittel standen ihm zur Verfügung. Er konnte so viele Handwerker kommen lassen, wie er brauchte. Dabei wurde Mataemon mit Staunen gewahr, dass Nobunaga das Bild dieses Schlosses bereits selbst entworfen hatte. Es hatte vor seinem inneren Auge längst Form und Gestalt angenommen. Mataemon war auserwählt worden, weil er das Geheimnis der alten Glück fördernden Bauweise beherrschte. Er kannte die Riten aus der Zeit der Entstehung des Landes, als die ersten Kaiserinnen zugleich Oberpriesterinnen waren.
Mataemon entging nicht, dass Nobunaga sich auf diese Weise selber ›heilig sprach‹, was einem Frevel recht nahe kam. Mataemon behielt seine Gedanken für sich. Die Tatsache, dass Nobunaga auf jedem Schlachtfeld den Sieg errang, zeigte ja, dass die Sonnengöttin ihn in jeder Weise begünstigte.
    Im Laufe der folgenden Stunden und Tage, während Nobunaga dem Baumeister sein zukünftiges Schloss beschrieb, wurde das Bild immer deutlicher und klarer. Schon war Mataemon in der Lage, den Grundriss in seinem Kopf zu berechnen. Jedes der fünf Stockwerke verjüngte sich nach oben zu dem Himmelsturm mit seiner Kuppel, und jedes davon sollte  – seiner Symbolkraft entsprechend  – in einer anderen Farbe leuchten. Das erste schwarz, das zweite weiß, das dritte und vierte blau und purpurrot. Und ganz oben war alles mit purem Gold überzogen. Doch entgegen dem Grundriss der üblichen japanischen Schlösser wollte Nobunaga, dass eine Halle erbaut wurde, von mächtigen Säulen rundum gestützt, die den Blick bis oben zu der Kuppel freigab. Dies war für Mataemon etwas Neues. Nobunaga erklärte ihm, es seien die Christen, die auf diese Weise ihre Heiligtümer bauten, wobei die Kuppel eine Darstellung der Himmelswölbung war, ein Lobgesang des Alls. Abermals wunderte sich Mataemon: Dies sollte ein Schloss werden, kein Heiligtum! Doch er befolgte jeden Wunsch des Fürsten und entwarf einen Plan, der dieser Vision gerecht wurde. Und je mehr er sich in seine Arbeit vertiefte, desto stärker wuchs seine Begeisterung. Er wusste, es würde ein Meisterwerk sein, etwas in seiner Pracht und Herrlichkeit nie Dagewesenes.
    Die besten Handwerker Japans kamen nach Azuchi. Zunächst wurden in den Bergwäldern von Kiso Zypressen für die tragenden Säulen gefällt. Das Fällen der Bäume war mit zahlreichen Beschwörungsriten verbunden. Die Riesenstämme,
die teilweise mehr als zweitausend Jahre alt waren, wurden auf Schiffen über den Biwasee herbeigeschafft und dann unter qualvollen Anstrengungen den Berg hinaufgezogen. Der Daimyo hatte den Portugiesen Pulver abgekauft, mit dem der Boden durch Explosionen ausgehöhlt wurde. Erst dann konnten die Tragsäulen tief genug in die Erde gerammt werden. Die Arbeiten waren äußerst gefährlich, unter den Tausenden von aufgebotenen Arbeitern wurden viele verletzt oder verloren sogar ihr Leben. Die Jahreszeiten gingen ins Land. Allmählich zeigte das Schloss seine Umrisse, wuchs unaufhörlich, wuchs in den Himmel. Nach drei Jahren endlich konnte der Innenausbau beginnen. Jede Zimmerflucht wurde mit erlesenen Materialien und exquisiten Kunstwerken ausgestattet. An den Wänden schimmerten das Gold und die Emaille der Schnitzereien, die Segen spendende Symbole darstellten, geflügelte Drachen und schwebende Fabelwesen. Die gewaltigen Deckenbalken waren mit den vergoldeten Wappen des Oda-Clans verziert. Wir können das Staunen der Besucher nur ahnen, wenn sie zu Pferd die Rampe hinaufstiegen, umgeben von steinernen Genien, buddhistischen Schutzheiligen und Glück bringenden oder furchterregenden Tier- und Geniegestalten. Es waren Formen, die in der Natur vorkamen, schön und majestätisch, die aber auf Fremde bedrohlich wirkten. Sie spürten, hier waren Schutzgeister einer anderen Art, die ihnen Eintritt in ein verbotenes Reich gewährten, aber ohne Garantie, dass sie den magischen Ort wieder würden verlassen können! Nobunaga bereitete diese Ambivalenz Vergnügen. Er genoss es sehr, gleichermaßen Bewunderung und Angst hervorzurufen. Waren die Zungen vor Staunen gelähmt, bekräftigte es ihn in seiner Macht. Er wusste im Voraus, dass alle, sobald sie das Schloss betraten  – dieses Schloss voller Pracht und Herrlichkeit  –, ihren Blick in die

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