Tochter des Windes - Roman
Auftrag, das Baby für die Reise bereit zu machen und sich mit den Zimmerleuten und ihrer bewaffneten Eskorte auf den Weg zu machen. Die Amme war eine vertrauenswürdige Frau: Chacha gab ihr einen Dolch mit dem Befehl, ihn zu gebrauchen, wenn Feinde die Reisenden bedrohten und eine Gefangennahme unabwendbar schien. Chacha liebkoste das schlafende Baby ein letztes Mal,
bevor sie es in die Arme seiner Amme legte. Sie sagte Mataemon Lebewohl und stieg auf den Schlossturm, um die Fortreitenden an diesem klaren Vorfrühlingstag so lange wie möglich im Auge zu behalten. Ob sie ihr Kind jemals wiedersehen würde, war ungewiss.
Die Reise nach Kanazawa verlief ohne Zwischenfall. Der kleine Isaemon wurde von Taku, Mataemons Frau, und den älteren Geschwistern liebevoll aufgenommen und gehörte fortan zur Familie. Unbeeindruckt von seinem nahezu fürstlichen Lohn führte Mataemon weiterhin ein bescheidenes Leben und war bis ins hohe Alter als Baumeister tätig. Wie aus alten Texten hervorgeht, widmete er sich dem Bau von Heiligtümern, die den Ruf von ausgesuchter Schönheit und Harmonie trugen.
So vergingen mehrere Jahreszeiten. Im Azuchi-Schloss war alles nur der Schönheit und dem Vergnügen gewidmet. Ein Bankett folgte dem anderen, die Räume waren voller Farben und Musik, voller Trinksprüche, sprudelnder Laune, eleganter oder derber Scherze. Nobunaga lieà sich durch einen schwarzen Sklaven bedienen, den er den Portugiesen abgekauft hatte. Er beteiligte sich an Gedicht- und Gesangwettbewerben, zeigte einen Tanz, den er vor jeder Schlacht aufführte, um sich einzustimmen. Wie ein Gaukler, flüsterten manche hinter vorgehaltener Hand. Auch Nanbanjins mit ihren Dolmetschern waren nicht selten zugegen. Die übliche Umgangssprache war Latein. Häufig war auch Luis Frois in Azuchi zu Gast. Chacha misstraute seinem leutseligen, humorvollen Wesen. Und solange der gegenwärtige Zustand nur Vorteile und keinen Schaden brachte, begnügte sich Chacha damit, den Jesuiten im Auge zu behalten. Ihre Spione erstatteten ihr regelmäÃig und genauestens Bericht. Die Missionare kontrollierten den Waffenhandel, der Daimyo zahlte in Goldmünzen. In dieser Epoche, die als âºZeit
der streitenden Reicheâ¹ in die Geschichte eingehen würde, zeigten sich überall die Schatten von Intrigen. Ganz Japan war in Aufruhr. Auf den Schlachtfeldern flossen Ströme von Blut. Nobunagas Krieger, mit ausländischen Waffen ausgerüstet, brachten jedem feindlichen Reiterheer furchtbare Verluste bei. Nach wie vor folgten ihm seine Soldaten mit Begeisterung, wussten sie doch, dass sie nach jedem Sieg hohe Belohnungen und reiche Beute erwarten konnten. Nobunaga blieb lange Zeit unbesiegbar, doch allmählich geriet auch er in Bedrängnis. Auf seinen stärksten Verbündeten, Togugawa Ieyasu, konnte er nicht mehr zählen. Nobunaga hatte ihn abschätzig behandelt, weil seine Mutter von niederem Adel war. Der Daimyo war ein Mann, der sich nicht beherrschen konnte. Weil er spürte, dass das Glück ihn verlieÃ, machte er sich immer verhasster. Die Finger von zwei Händen genügten kaum, um die Fürsten aufzuzählen, die er beleidigt hatte. Er verfeindete sich mit dem mächtigen Mori-Clan, belagerte dessen Burg Takamatsu. Doch der Mori-Clan hatte treue Verbündete. Unter dem Kommando von Mori Terumoto schlugen sich die Belagerten heldenhaft, trotz erheblicher Verluste. Sie drängten Nobunaga zurück, der Kampf kam zum Stillstand. Das war der Anfang vom Ende. Nobunaga schickte seinen General Hideyoshi, um Verstärkung zu holen. Einst gehörte Hideyoshi zum fürstlichen Haushalt, wo er als Sandalenmacher einen niederen Dienst verrichtete. Es lag in Nobunagas Natur, dass er ein gutes Auge für menschliche Fähigkeiten hatte; Hideyoshis Scharfsinn war ihm nicht entgangen. Nobunaga hatte ihn zunehmend als Informant benutzt und schlieÃlich zum General gemacht in der Hoffnung, dass er auf diese Weise seine Fähigkeiten nutzen und ihn unter Kontrolle halten konnte. Der kometenhafte Aufstieg des einstigen Sandalenmachers hatte im Generalstab Unverständnis und Zorn erregt. Für den stolzen
Samurai Akechi Mitsuhide, Spross einer ehrwürdigen Adelsfamilie, war es eine Beleidigung zu viel. Mitsuhide stellte sich mit seinen Truppenverbänden auf die Seite des belagerten Mori-Clans und verriet dem Feind Nobunagas Aufenthalt im Honno-ji -Tempel in Kyoto.
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