Tochter des Windes - Roman
bei der Sache bin.«
»Vielleicht haben Sie zu viele andere Dinge im Kopf.«
»Oh ja«, sagte sie, »eine Menge anderer Dinge.«
Sie lehnte sich zurück, belustigt und keineswegs verlegen. Eine zarte, elegante Erscheinung, und dabei von einem gewissen maskulinen Selbstbewusstsein. Dieser Zwiespalt, selten bei einer Frau, übte auf mich einen unwiderstehlichen Reiz aus. Sie weckte den männlichen Beschützerinstinkt und lieà gleichzeitig spüren, dass sie sehr gut alleine im Leben zurechtkam. Viel besser als ich, wie mir schien.
Ich hatte Durst und trank schnell hintereinander zwei Schluck, als sie sagte: »Ich möchte wirklich Ihre Hose übernehmen.«
Ich senkte das Glas.
»Wie bitte?«
Sie bewegte die Hand vor ihrem Gesicht hin und her.
»Die Reinigung«, sagte sie. »Ich möchte gerne die Rechnung bezahlen. Ich meine es ernst.«
Ich hob mein Glas und hielt es schräg.
»Wenn Sie weiterhin darauf bestehen, verschütte ich den Wein und kümmere mich dann selbst um meine Hose. Was sagen Sie dazu?«
Sie kniff schelmisch die Augen zusammen.
»Dass es schade um den Wein wäre. Er ist wirklich gut.«
Ich nickte feierlich.
»Ich mag ihn auch. Dann lassen wir die Hose also fallen?«
Die Zote entschlüpfte mir, bevor ich sie zurückhalten konnte. Männer haben Schneckenhäuser im Gehirn, mit eigenartigen Gedankenwindungen. Doch Mia, nicht im Geringsten aus der Fassung gebracht, hob nur die flaumigen Brauen.
»Hier? Jetzt?«, konterte sie gelassen.
Ich starrte sie an, bevor ich in Lachen ausbrach. Sie lachte mit mir. Ihr Lachen war herzlich und entspannt. Ich musste an Tanja denken. Hatte Tanja Humor? Doch ja, in gewisser Weise. Aber es war nicht der gleiche Humor. Ihr Ego war sakrosankt. Tangierte ich ihr Ego, auch nur mit einem harmlosen Witz, musste ich ein schlechtes Gewissen haben. Immer. Und im Laufe der Jahre war dieses schlechte Gewissen zu einer Art Pawlow-Reflex angewachsen. Stopp. Benimm dich anständig, verscherze dir nicht deine Chancen. Und so sprach ich die Worte nicht aus, die mir auf der Zunge lagen  â nämlich: »Es wäre ein wenig zu früh«  â, drehte mein gedankliches Schiff und nahm Kurs auf weniger felsige Gesprächslandstriche.
»Was führt Sie nach Prag?«
Sie antworte lebhaft.
»Die Architektur. Die Geschichte. Und natürlich auch Jan.«
Schachmatt für mich. Ich hatte es ja geahnt, ach ja, ach ja! Irgendwo in Prag saà Jan, ein Kerl, den sie besuchen wollte. Jan. Ich hasste plötzlich diesen Namen. Ich wollte kein Spielball für Frauen mehr sein, auch wenn sie entzückend exotisch waren. Die Begegnung lohnte sich nicht, geschweige denn die Mühe, noch irgendwelche Konversation zu machen. Frauen haben ein perverses Vergnügen daran anzudeuten, wie gefragt sie sind. Ich war mal wieder in die Falle gestolpert. Bisher
hatte mir die Neugier  â und auch das langsam anwachsende Begehren  â Energie verliehen. Mit der Enttäuschung überfiel mich schlagartig die Müdigkeit. Immerhin war es schon elf. Noch zehn Minuten, und ich würde die Rechnung verlangen, mit der Begründung, dass ich frühzeitig schlafen gehen wollte. Zu viel beruflicher Stress, der sich angestaut hatte. Zuvor würde ich sie noch höflich zu ihrem Hotel begleiten (doch, doch: Amalia hatte mich gut erzogen!). Nein, mir kam plötzlich eine bessere Idee: Ich würde sie in ein Taxi verfrachten, Paket eingeschnürt, fertig, aus. Schneller und schmerzloser ging es nicht. Und für die zehn Minuten, die ich ihr noch genehmigte, würde ich wohl gute Miene zum bösen Spiel machen können.
»Kennen Sie ihn schon lange?«, fragte ich wie beiläufig.
Sie sah mich überrascht an. Auf einmal schien etwas in ihr zu dämmern, und sie lächelte verschmitzt.
»Jan Letzel? Haben Sie noch nie von ihm gehört?«
Ich konnte nur einfältig den Kopf schütteln.
»Nein. Wer ist das?«
»Ein berühmter Architekt«, sagte sie. »Zumindest war er in Japan berühmt. Er starb 1925.«
Uff ! Sofortige Entwarnung. Ich lehnte mich innerlich zurück. Vor Erleichterung bekam ich einen roten Kopf, sodass ich mich genötigt fühlte, etwas zu meiner Rechtfertigung zu sagen.
»Ich dachte ⦠weil Sie ihn doch beim Vornamen nannten â¦Â«
Jetzt lachte sie fröhlich auf.
»Das hat mit unserer
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