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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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hell wurde, lag sie noch in tiefer Abwesenheit. Matsuo setzte sich zu ihr. Er machte sich Sorgen. Die offene Wunde war mit Schlamm in Berührung gekommen. Matsuo fürchtete eine Blutvergiftung. Er hatte die Wunde mit abgekochtem Wasser gewaschen, aber das Verbandszeug war schmutzig, und er hatte kaum Ersatz. Er hatte Antibiotika für sie aufgehoben und ihr eine schmerzlindernde Tablette gegeben. Mehr konnte er nicht tun. Und es gab viele andere Verletzte, die auch Medikamente nötig hatten.
    Â»Hatsue«, sagte er.
    Sie antwortete nicht. Er musste sie mehrmals rufen, bevor sie die flatternden Lider hob und ein Schimmer von Bewusstsein über ihr Gesicht huschte.
    Â»Es scheint dir Spaß zu machen, meinen Namen zu wiederholen.«
    Â»Durst?«, fragte er.
    Sie nickte. Matsuo gab Mia ein Zeichen. Sie hob behutsam Hatsues Kopf, hielt ihr ein Gefäß mit abgekochtem Wasser an die Lippen. Hatsue trank gierig ein paar Schlucke. Inzwischen schob Matsuo die Decke auf die Seite und begann ihre Bandagen aufzurollen. Irgendwann in der Nacht hatte der Schneefall nachgelassen, aber der anbrechende Tag war grau und eiskalt, und der Schatten der Bäume machte das spärliche Licht noch düsterer. Ich hielt die Taschenlampe, die unstet flackerte, über die Verletzung, sodass Matsuo sie untersuchen konnte. Seine knochigen Finger bewegten sich sanft und geschickt. Mia und ich blickten erschrocken auf die Fraktur. Das Fleisch ringsherum schien entzündet, und das aufgerissene Gewebe war von einem tiefen, bösen Purpurrot.
    Â»Du hast Schmerzen«, murmelte Matsuo.
    Es war eine Feststellung, keine Frage. Doch sie schüttelte leicht den Kopf.

    Â»Ich spüre nicht viel. Als ob mein Bein jemand anderem gehörte. Ist das nicht komisch?« Hatsue versuchte zu lächeln. Sie war immer noch beduselt.
    Matsuo antwortete mit einem Grunzen.
    Â»Aber sonst geht es mir gut«, sagte sie.
    Matsuo legte ihr die Hand auf die Stirn.
    Â»Du hast Fieber.«
    Â»Mir ist ein bisschen heiß.«
    Â»Ich gebe dir noch eine Injektion. Ich brauche eine Vene.«
    Sie hob gehorsam den Arm. Er machte die Nadel bereit, gab Mia die Taschenlampe. Sie leuchtete für ihn, während er die Vene bereit machte und sich konzentrierte, um mit der Spritze gleich richtig zu treffen. Hatsues Muskeln waren verkrampft, und er musste zweimal stechen. Sie verzog nur leicht das Gesicht.
    Â»Fertig?«
    Â»Fertig.«
    Matsuo klebte ein Stückchen Heftpflaster auf die Einstiche und zog den Ärmel ihres Pullovers herunter.
    Â»Du wirst jetzt schlafen. Ich kann dir erst morgen die Verbände wechseln. Ich habe keine mehr.«
    Â»Ach, ich glaube, es ist ganz gut so.« Hatsues Augen schweiften umher. »Wo sind meine Katzen?«
    Â»Irgendwo«, sagte Mia. »Sie kommen schon zurecht.«
    Hatsue verzog die Lippen zu einer Art Lächeln.
    Â»Wenn ich traurig bin, muss ich an die Katzen denken. Nicht dass ich mich um sie sorge, das nicht. Katzen sind sehr selbstständig, ne? Es ist nur, weil sie so viel wissen. Und wir noch eine Menge von ihnen lernen müssen.«

36. Kapitel
    N achdem sich definitiv herausgestellt hatte, dass ich kein Held war, zeigte mir Onkel Matsuo keine Missbilligung. Er hatte viel Verständnis für Stadtneurotiker. Was ihn beschäftigte, war Hatsues Verletzung. Alles Verbandszeug, das er in der Krankenstation hatte retten können, war bereits verbraucht. Es gab viele Leute, die sich durch Glassplitter verletzt hatten. Diese Wunden bluteten stark, waren aber nicht weiter schlimm. Was dem alten Arzt am meisten Sorge bereitete, war Hatsues komplizierter Knochenbruch. Noch arbeitete die Landwirtschaft hier mit Pestiziden  – das Umdenken brauchte viel Zeit  –, die Erde hatte das ganze Zeug aufgesaugt. Und jetzt hatte sich Hatsues Wunde infiziert, das Knie war fast zur doppelten Größe angeschwollen, und auf Hatsues verhärtetem Schenkel bildete sich bereits ein feuerroter Streifen.
    Der Neunzigjährige hatte bisher so viel zu tun gehabt, seine Gedanken waren von so vielen Einzelheiten in Anspruch genommen worden. Erst jetzt kam ihm in den Sinn, dass er in seinem Büro eine Hausapotheke mit Notfallmedikamenten, darunter ein paar Penizillinampullen, aufbewahrt hatte. Nun hoffte er, dass er sie vielleicht in den Trümmern finden konnte. Mia und ich machten uns mit ihm auf den Weg. Der Morgen war ein eisgrauer, trostloser Albtraum. Asche von den fernen

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