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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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an den Kopf.
    Â»Da war mein Büro«, sagte er.
    Er schwankte ein wenig. Ich hielt ihn am Ellbogen fest.
    Â»Alles ist weg«, fuhr er fort. »Die Papiere, die Fotos von früher. Die Notfallapotheke auch. Und die Schriftrolle, die ich euch hatte geben wollen …«
    Mia machte ein Gesicht, als ob sie erst jetzt in die Wirklichkeit zurückfand.
    Â»Ach ja, der Bauplan … War er auch in deinem Büro?«
    Der alte Mann nickte kummervoll.
    Â»Der Plan steckte in einer Schachtel aus Birkenholz. Er ist weg … irgendwo unter den Schuttbergen, im schmutzigen Wasser. Mit allen anderen Sachen, die wichtig waren … Da liegen sie nun, verfaulen und lösen sich auf. Auch die Sachen, die unsere Familie betreffen. Sie sind alle verloren, tut mir leid.«
    Mia und er sahen einander an, mit dem Ausdruck von Qual in den Augen. Schließlich seufzte Mia tief auf.
    Â»Diese Sachen … sind jetzt nicht mehr so wichtig, ne?«
    Er legte ihr flüchtig die Hand auf die Schulter.
    Â»Nein, Mia-chan … Ich glaube, jetzt nicht mehr. Unsere Vorfahren werden es mir verzeihen. Wenn auch ich selbst es nicht kann.«

    Â»Ach, Onkel Matsuo«, sagte Mia tonlos, »das sind alte Geschichten, ne?«
    Â»Ja, alte Geschichten.«
    Mias Lippen zitterten.
    Â»Sei nicht traurig deswegen. Wir sind ja am Leben. Und wir werden ganz neu anfangen.«
    Onkel Matsuo nickte langsam vor sich hin.
    Â»Ich bewundere die Tatkraft der Jugend. Sie gibt auch mir Kraft. Siehst du, es ist passiert. Und es wird noch einmal passieren. Und noch einmal. Da weinen wir nicht mehr. Die Tränen kommen uns nicht. Wir begreifen es nicht immer, warum es so ist, dass alles immer wieder vernichtet wird. Dass wir uns nur noch erinnern können. Aber es ist nicht sinnlos, Mia-chan. Es gibt einen Sinn. Wir müssen ihn nur finden. Und, siehst du, es schmerzt mich sehr, dass ich Hatsue nicht so helfen kann, wie ich es will. Ich werde sie amputieren müssen.«
    Wir starrten ihn an. Er sprach sachlich, mit ruhigem Gesicht.
    Ich befeuchtete meine trockenen Lippen.
    Â»Ist es wirklich so schlimm, Onkel Matsuo?«
    Er nickte.
    Â»Ihr Leben ist in Gefahr.«
    Â»Aber Isao wird doch gleich mit dem Hubschrauber da sein!«
    Der alte Mann sah mich scharf an.
    Â»Wann? Kannst du mir das sagen?«
    Im Sekundenbruchteil fühlte ich mich in die Haut des schlechten Schülers versetzt. Ich schrumpfte regelrecht zusammen.
    Â»Ja, aber… sobald er die Genehmigung hat!«
    Der alte Arzt zuckte mit der Schulter.
    Â»Kann ich mich darauf verlassen? Die Behörden haben
eine lange Leitung. Und wenn es um Leben und Tod geht, entscheide ich.«
    Â»Ohne Betäubungsmittel, Onkel Matsuo?«, sagte Mia mit leiser Stimme. »Das geht doch nicht!«
    Er hatte uns beide gehörig satt und antwortete ziemlich barsch.
    Â»Ich hoffe nach wie vor, dass es nicht dazu kommen wird. Im Augenblick sieht es allerdings nicht so gut aus.«
    Scheiße, scheiße, scheiße, dachte ich, am Rande der Panik.
    Â»Aber könntest du … wenn es sein müsste … ich meine … brächtest du das fertig?«
    Seine ruhigen Augen hielten meinem Blick stand.
    Â»Warst du eigentlich mal im Krieg, junger Mann?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â»Meine Generation …«
    Â»Nun ja«, brummte Matsuo, »da kannst du wohl von Glück sagen.«
    Taktvoll, wie er war, hatte er nicht gesagt: »Deine Generation taugt nicht viel.« Aber genau das war es, was er offenbar dachte.
    Ich hatte einen metallenen Geschmack auf der Zunge.
    Â»Wann, Onkel Matsuo?«
    Â»Bald«, sagte der alte Mann. »Noch heute.«
    Er wandte sich ab.
    Â»Gehen wir.«
    Â»Onkel Matsuo, warte!«
    Mia stand vor ihm, mit blassen, aber entschlossenen Gesichtszügen.
    Â»Wenn es so weit kommen sollte … werde ich dir helfen.«
    Er sah sie ruhig an.
    Â»Ich habe auch nichts anderes von dir erwartet.«
    Er ging weiter, uns voraus, als habe er in seinem Leben nie etwas anderes getan, als diesen Berg hinaufzustapfen. Ich
dachte, dieser Mann ist ungebeugt, unbeugsam, unzerstörbar. So wird es wohl sein, überlegte ich, wenn man eine innere Ordnung erlangt hat und fest in sich selbst ruht. Erst dann kann man das Chaos überblicken, einen Sinn darin erkennen.
    Aber welchen, verdammt noch mal? Das sollte mir mal einer sagen. Er  – Matsuo  – redete ja nicht davon.
    Seltsam

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