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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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schutzlos, ne?«
    Damals hörte ich es zum ersten Mal, dieses kurze japanische Zwischenwort, das eigentlich »nicht wahr?« bedeutet. Japaner begleiten dieses Wort mit einem Kopfnicken, das den Sinn noch verdeutlicht. Kunstwerke sind schutzlos, hatte Mia gesagt. Sie verriet mit diesen Worten eine Weltanschauung, die mir vertraut war. Aber für gewöhnlich behielt ich solche Gedanken für mich. Die Überzeugung, dass auch das Unbeseelte eine Seele hatte, würde in akademischen Gesprächsrunden sofort als meschugge taxiert werden.
    Â»Hier sind noch viele Bauten intakt«, sagte ich, »weil Prag im Zweiten Weltkrieg nicht schwer bombardiert wurde. Hitler soll Befehl gegeben haben, die Stadt zu verschonen. Vielleicht, weil der SS-Sturmbannführer Reinhard Heydrich, der berüchtigte ›Henker von Prag‹, im Schloss Panenské Břežany residierte, bis er 1941 von Widerstandskämpfern ermordet wurde.«
    Â»Ich habe in Prag einige wundervolle Sachen gesehen«, sagte Mia. »Renaissance, Barock, Jugendstil. Vernachlässigt zwar, aber noch voller Leben. Fast alles ist noch da, wie selbstverständlich. Mir kommt es wie ein Geschenk vor. Etwas Ähnliches ist es doch wohl?«

    Dabei sah sie mich an mit Blicken, die etwas Neues, Tiefes in mir wachriefen: eine Art Verträumtheit war darin, zugleich aber auch etwas Weises, das mich in Erstaunen versetzte. Mit Tanja hätte ich ein solches Gespräch nie führen können, ein Ding der Unmöglichkeit. Unter Mias lockerer Unbefangenheit zeigten sich ganz andere Gedanken, eine neue Gefühlsdimension. Als ob sie viel länger gelebt hätte als ich, was natürlich nicht sein konnte. Der Gedanke fiel mir plötzlich aufs Herz, dass sogar ich ihr vielleicht nicht gewachsen war. Was für eine Frau ist das?, dachte ich mit zunehmender Verwunderung.

5. Kapitel
    W ir sprachen über Jan Letzel. Bisher hatte ich nichts von ihm gewusst, nicht einmal seinen Namen gekannt. Wie seltsam! Es kann vorkommen, dass Erinnerungen an gewisse Menschen so sind, wie wenn man sie durch ein umgedrehtes Fernrohr betrachtet, klar, aber ganz weit entfernt. Sie hatten ihre eigenen Träume gehabt, ihre eigenen Ziele verwirklicht. Der eingeschlagene Weg hatte sie weit weg gebracht, in Länder jenseits der Meere. Letzel hatte seine Träume fern der Heimat ausgelebt, und die Heimat war ihm nicht dankbar dafür. Seine Erinnerung war durch sein Fortgehen ausgelöscht worden. Mia hatte in Bibliotheken gestöbert, nur Summarisches über ihn gefunden. »Wir haben hierzulande viele Architekten«, hatte ihr eine junge, arrogante Buchhändlerin gesagt. »Letzel muss nicht sehr berühmt gewesen sein, sonst stünde etwas über ihn in den Büchern.«
    Und da die Japaner  – wie Mia mir erklärte  – in ihrer eigenen Sphäre und in dem stetigen Glauben lebten, dass das, was für sie bedeutend war, auch für alle anderen von Bedeutung sein musste, war es weiterhin nicht erstaunlich, dass sie das Andenken an Namen und Ereignisse bewahrten, die dem Rest der Welt gleichgültig geworden waren.
    Â»In Japan wird Letzel verehrt«, sagte Mia mit leichtem Vorwurf in der Stimme. »Warum entsinnt sich hier niemand an ihn?«
    Der Genbaku- Dom, erklärte sie mir, war eine Mischung
aus Neobarock und Jugendstil und äußerst solide gebaut. Die Kuppel im völlig europäischen Stil war mit Kupfer eingefasst. Das Gebäude wurde 1916 errichtet, als fast noch alle Häuser in Hiroshima aus Holz gewesen waren. Es war  – für die damalige Zeit – ein revolutionäres Bauwerk. Und ausgerechnet dieses Bauwerk benutzten die Amerikaner als Zielscheibe, als sie ihre erste Atombombe abwarfen. Aber der Genbaku- Dom überstand das Desaster.
    Â»Heute kommen Menschen aus aller Welt nach Hiroshima«, sagte Mia. »Viele stehen vor der Ruine und weinen. Man sieht auch junge oder ältere Leute, die das Gebäude ehrfürchtig abzeichnen.«
    Â»Dann ist es ziemlich unglaublich«, sagte ich »dass man Letzel hierzulande vergessen hat.«
    Sie schüttelte leicht den Kopf.
    Â»Wissen Sie, ich habe nachgedacht. Die Tschechen haben eine eigene, schwere Geschichte. Ich glaube, niemand wollte mehr etwas annehmen von der Geschichte anderer Völker. Wir Japaner sind auf einem Gebiet dieser Erde ansässig, das für sie irgendwie ohne Gestalt ist, weit in der Ferne. Das

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