Tochter des Windes - Roman
Zeit. Man musste eben ⦠geschickt sein, dann konnte man ganz gut leben.«
Wir aÃen unsere Sandwiches.
»Und du?«, fragte sie.
»Willst du wissen, ob ich geschickt bin? Und was für Fehler ich sonst noch habe?«
Sie deutete blinzelnd eine Verneigung an.
» Gomennasai! Entschuldige die taktlose Frage â¦Â«
»Keine Ursache. Es ist besser, dass du es von vornherein weist. Ich bin eigentlich ganz geschickt. Hingegen bin ich ein Nörgler.«
»Oh, das ist keine so groÃe Sache«, meinte sie. »Alle Männer beschweren sich dauernd, das liegt in ihrer Natur.«
Ich räusperte mich.
»Und was machen Japanerinnen mit solchen Männern?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nichts. Sie erledigen ihre Sachen und sagen âºMmmâ¹ dazu.«
»Mmm?«, ahmte ich sie perplex nach.
»Ja, das kann bei uns alles Mögliche bedeuten. Interesse oder Desinteresse. Und wenn eine Frau auf diese Weise âºMmmâ¹ sagt, zeigt sie, dass es ihr völlig wurscht ist, ob der Mann gerade nörgelt oder nicht. Und nach einer Weile, na ja, da hört er von selber auf.«
Ich lächelte schwach.
»So, so! Eine bewährte Methode, offenbar â¦Â«
»Oh ja«, sagte sie fröhlich, »schon seit Jahrhunderten.«
Ich dachte an die vielen japanischen Männer, die auf diese Weise mundtot gemacht wurden. Es verdarb mir nicht den Appetit. Immerhin fühlte ich mich verpflichtet, die Dinge klarzustellen: »Das heiÃt, ich bin eigentlich kein geborener Nörgler. Nur in letzter Zeit, da habe ich oft gemeckert. Es hing mit meiner Frau zusammen.«
Sie legte behutsam ihr Besteck auf die Seite. Sie war ernst geworden.
»So was bereitet immer Kummer«, sagte sie.
Ob sie darauf brannte, mir Fragen zu stellen, und taktvoll wartete, dass ich sprach, konnte ich nicht ausmachen. Für gewöhnlich waren Frauen leidenschaftlich an solchen Geschichten interessiert.
»Sie war lieb«, gab ich Auskunft. »Und sie war sehr hübsch.
Ich kann ihr wirklich nicht ernsthaft etwas vorwerfen. Aber schon seit Langem war alles zwischen uns zu Ende. Wir waren eben nicht füreinander gemacht.«
Sie nickte ruhig.
»Diese Dinge habe ich auch erlebt. Dergleichen kommt alle Tage vor. Und wenn das Alleinsein besser als das Beieinandersein wird, sollten wir vorwärtssehen und nicht rückwärts. Das Leben ist wie ein Fluss, ne? Das Wasser trägt die Vergangenheit fort.«
Solche Worte hatte ich selten gehört, und doch: wie wahr! Diese junge Frau sagte Dinge, die ich wohl geahnt, aber nie ausformuliert hatte. Mein ewiger Frust lieà sich mit einem ganz leichten, aber ständigen Abnutzen der Persönlichkeit vergleichen und war gleichzeitig mit dem unbestimmten Gefühl verknüpft, dass ich noch die Möglichkeit hatte, anderswo wieder eine Persönlichkeit aufzubauen, die mir besser entsprach. Ich kannte mich zur Genüge, ich wusste, dass es nicht ging, nicht wenn ich in meinen alten Trott zurückfiel. Ich durfte nicht alleine bleiben, auf gar keinen Fall. Dann würde ich auch endlich aufhören zu nörgeln.
Aber da ich unfähig war oder  â besser gesagt  â nicht gewohnt, solche Gedanken zu formulieren, sagte ich lediglich: »Na ja, die Geschichte machte mir ein wenig zu schaffen.«
»Ich verstehe.«
»Aber jetzt will ich nicht mehr daran denken. Schwemmsand, ja?«
Sie nickte heiter.
»Den Sinn für Veränderungen, den sollten wir nie verlieren.«
Meine Kehle war trocken. Ich räusperte mich, trank einen Schluck Wasser.
»Wie lange bleibst du noch in Prag?«
Sie setzte mit langsamer Bewegung ihre Sonnenbrille auf.
»Ãbermorgen geht mein Flug.«
»Ich bin noch zwei Tage länger hier«, sagte ich. »Das deprimiert mich.«
Sie schien die Bemerkung zu überhören.
»In Wien habe ich zwei Stunden Aufenthalt. Und dann geht es nonstop nach Tokio.«
Ich sagte vorsichtig: »Kannst du nicht etwas länger bleiben? Ich hätte das sehr gerne.«
»Das geht nicht. Ich werde in Tokio erwartet.«
Das war nicht gut. Mir wurde leicht flau im Magen.
»Deine Familie?«
Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, geistesabwesend.
»Ich habe kaum noch Familie. Mein Vater starb, als Isao und ich in die Highschool kamen. Ein Unfall auf einer Baustelle. Er war leichtsinnig und trug keinen Helm. Mutter lebt seit zwei Jahren nicht mehr. Sie war
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