Tochter des Windes - Roman
nickte.
»Also gut. Morgen nach dem Frühstück?«
»Ich werde die ganze Nacht an Sie denken«, sagte ich.
Sie errötete jetzt, ganz schwach, sodass nur ich es gewahrte.
»Nein. Sie werden gut schlafen«, sagte sie.
Ich brachte Mia mit einem Taxi zu ihrem Hotel. Sie wohnte in einem neuen, sehr eleganten Hotel am Kleinseitner Ring, unweit der Nikolauskirche. Ich war ein Mann, der, falls sich die Gelegenheit bot, nichts gegen One-Night-Stands hatte. Und der auch, wenn es darauf ankam, schöne Reden halten konnte. Ich hatte das Gefühl, dass es hier nicht notwendig war. Und morgen  â wer weiÃ?  â würde ich vielleicht noch besser reden können, und sie würde verstehen, was ich meinte.
Das Taxi hielt. Ich stieg mit Mia aus, brachte sie bis an den Eingang. Die Glastüren teilten sich, und wir standen da, etwas befangen, und lächelten uns an.
»Gute Nacht, Mia.«
Ich beugte mich zu ihr nieder  â ich bin immerhin fast zwei Meter groà â und küsste sie auf den Mund. Ihre Lippen öffneten sich leicht, erwiderten meinen Kuss.
»Gute Nacht, Rainer«, sagte sie.
Sie wandte sich um, wobei sie leicht mit der Hand winkte. Sie bewegte sie auf eigentümliche, reizvolle Weise, von links nach rechts, die Finger gestreckt. Dann schlossen sich die Glastüren, ich sah sie schnell und leichtfüÃig durch das Atrium gehen. Als sie meinen Augen entschwand, fühlte ich
einen schmerzhaften Stich im Herzen. Was, wenn sie in ein paar Tagen abreiste und mich allein, wie einen Trottel, in Prag zurücklie� Ich schob den unangenehmen Gedanken weit von mir. Und was Mia gesagt hatte, stimmte auch: Ich schlief gut in dieser Nacht. Der Wein war wirklich gut gewesen, ich hatte zwei Gläser getrunken, und kein Nesselfieber verdarb mir die Ruhe. Erst im Morgengrauen, als mein natürlicher Wecker sich regte, kam mir augenblicklich Mia in den Sinn, und ich fantasierte eine Weile, bevor ich entspannt wieder einschlief und erst aufwachte, als die Sonne durch die dunklen Vorhänge schien und das Flügelschlagen der Tauben mich vollständig weckte.
6. Kapitel
N ichts macht einen rechtschaffenen Mann, der sich rasiert und dann frühstücken geht, zufriedener, als das Wissen, dass auf eine Frau Verlass ist. Vertrauen ist eine seltsame Sache; bei Frauen war ich oft argwöhnisch gewesen. Ich hatte ein paar Mal erlebt, wie Frauen alles daransetzten, um sich einen Mann als Versorger zu angeln. Es war nicht so, dass ich mich vor der Verantwortung drückte; ich wollte sie nur nicht alleine tragen. Ich hatte viel für Freundschaft übrig. Mit einer Frau zu schlafen war eine tolle Sache. Aber warum konnte man so schlecht mit einer Frau befreundet sein? Ich hatte noch nicht herausgefunden, woran das lag, dass es so schwierig war. Vielleicht stellten Männer und Frauen gegensätzliche Erwartungen an das Leben, an die Partnerschaft? Das Wort »Ehemann« ist grotesk, für Tanja wollte ich nie ein Ehemann sein, hatte aber das dumpfe Gefühl, dass sie genau einen solchen suchte. Mia schien auf eine ganz besondere Art unabhängig. Mir fiel ihre besondere Art ein, mich zu betrachten. Ihr offener, direkter Blick zeigte viel Freundschaft. Es hätte durchaus der Blick eines Mannes sein können.
Wir hatten um 9.30 Uhr vor ihrem Hotel abgemacht. Ich legte die Strecke zu Fuà zurück. Das Frühlicht, durchsichtig wie eine Seifenblase, legte aus der fernen, zerflieÃenden Grenze des Himmels einen Zauberschleier über die Stadt. An diesem Morgen hatte ich nur vereinzelte Touristen gesehen, sodass man denken konnte, Prag sei eine Stadt wie jede andere
auch, nur von Einheimischen bevölkert, die ihrer gewohnten Tätigkeit nachgingen. Auf der Karlsbrücke waren die Souvenirstände mit ihrem Billig-Kunsthandwerk aus China noch nicht aufgestellt. Der Altstädter Brückenturm zeigte im Gegenlicht seine elegante Silhouette, und auf den Ecktürmen funkelten die Weltkugeln wie goldene Spiegel.
Ich hatte überlegt, dass sie sich vielleicht verspäten würde. Frauen verspäten sich oft. Doch nein, sie war da. Sie war da und sah entzückend ausgeschlafen aus. Sie trug ein schwarzes T-Shirt, eine Chino und bequeme Baskets. Dazu, über die Schulter gehängt, eine kleine bequeme Tasche. Nichts, das ihr lästig werden konnte. Ihr bloÃer Anblick erfüllte alle meine Erwartungen, machte mich froh.
Weitere Kostenlose Bücher