Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
krank, eine Art von Leukämie. Es fing bei den Knien an, sie konnte plötzlich nicht mehr gehen und wurde immer schwächer. Dabei hielt sie sich kerzengerade, machte ein fröhliches Gesicht und tat so, als sei alles in Ordnung. Für sie war es eine ausgemachte Sache, dass sie diese Welt bald verlassen würde. Ihre Schwester war auch an Leukämie gestorben. »Es ist Schicksal«, sagte Mutter. »Ich will im Frühjahr sterben. Am ersten schönen Tag.« Sie war eine sehr mutige Frau. Ihre letzten Tage verbrachte sie im Krankenhaus. Mein Bruder und ich wechselten uns bei ihr ab. Sie wollte nicht, dass wir weinten. Wir sollten einfach nur bei ihr sein und ihr erzählen, was uns durch den Kopf ging. Nichts Trübseliges, das wollte sie nicht haben. Es war im März, die Tage waren kalt und grau, und es hatte viel geregnet. Und weißt du was, Rainer? An dem Tag, an dem sie starb, schien die Sonne, und sie konnte vom Fenster aus die ersten Pflaumenblüten sehen.«

    Ich sagte schüchtern, denn ich war tief bewegt: »Es tut mir leid, ich hätte vielleicht nicht fragen sollen.«
    Sie wandte mir langsam ihr durch die dunkle Brille verdecktes Gesicht zu.
    Â»Nein, es macht mir nichts mehr aus. Wir hatten Mutter sehr gerne. Zum Schluss hat sie oft gesagt: Seht nicht zurück, Kinder, geht immer geradeaus. Ihr müsst das Leben lieben.«
    Ich schluckte und sagte: »Es hört sich sehr schön an, was sie da gesagt hat. Es kommt mir so vor, als sollten wir uns alle ein wenig danach richten.«
    Mia nahm ihre Sonnenbrille ab. Ihre Augen schienen leicht gerötet, doch ihre Stimme klang wieder ganz heiter.
    Â»Man muss ein wenig darüber nachdenken. Und sich natürlich ein wenig anstrengen.«
    Ich sagte zu ihr, meine Worte mit Bedacht abwägend: »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wer dich in Tokio erwartet. Dein Bruder?«
    Sie antwortete betont leichthin.
    Â»Isao kommt perfekt ohne mich aus! Nein, es geht um etwas anderes. Ich habe eine Besprechung. Da gibt es eine Sache, die ich erledigen muss …«
    Ich stellte vorsichtig die nächste Frage.
    Â»Diese Sache, hängt sie mit … dem Schwemmsand zusammen?«
    Jetzt war ein Schatten auf ihrer Wange; es war, als ob sie lächelte.
    Â»Ja. Das sind Dinge, die man am besten schnell erledigt.«
    Wieder Stille. Ich brach das Schweigen mit den nichtssagenden Worten: »Dieser Sommer ist wirklich sehr heiß, hier in Prag.«
    Sie legte behutsam die Gabel hin.
    Â»Du hast keinen Appetit«, stellte sie fest.

    Â»Das ist wahr«, antwortete ich. »Es ist schon fast drei. Um diese Zeit habe ich keinen Hunger mehr.«
    Sie verzog leicht das Gesicht.
    Â»Ich eigentlich auch nicht.«
    Â»Bist du müde?« fragte ich. »Wir sind heute schon viel herumgelaufen. Möchtest du dich etwas ausruhen?«
    Wir lächelten, behielten einander im Auge. Ich hatte große Lust, mit Mia zu schlafen. Ich fragte mich, ob sie wohl in meinem Gesichtsausdruck lesen konnte, denn sie sagte mit sanfter Stimme: »Ich habe darüber nachgedacht. Ich bliebe gerne mit dir einige Stunden irgendwo. Bei mir oder bei dir.«
    Â»Bei dir, wenn es geht«, erwiderte ich. »Dein Hotel liegt ja ganz in der Nähe.«
    Â»Gut«, sagte sie, trank ihr Wasser aus und erhob sich. Ihr Handrücken stieß an die Gabel, die leise klirrend auf den Boden fiel. »Oh«, rief Mia, »oh, oh!«
    Ich wollte die Gabel aufheben. Doch Mia war ebenso schnell, ging gelenkig in die Knie. Und weil wir gemeinsam nach dem gleichen Gegenstand griffen, knallten unsere Köpfe aneinander.
    Â»Oh!«, stöhnte Mia. »Oh! Gomennasai  – entschuldige! Sag, tut es weh?«
    Sie hatte einen harten Schädel. Ich rieb mir die schmerzende Stirn.
    Â»Nicht im Geringsten!«

7. Kapitel
    W ir gingen also zu Mias Hotel. Auf dem Weg dahin sprachen wir wenig, doch mir fiel auf, dass wir schneller gingen. An der Rezeption nahm man keinerlei Notiz von uns, dergleichen war man wohl gewöhnt. Die Tschechen sind nicht prüde. Schweigend nahmen wir den Lift, vermieden es, einander anzusehen. Das Verlangen war jetzt ins Spiel gekommen. Dann waren wir in Mias Zimmer; es war groß, sehr gut eingerichtet, schönes Design. Das Hotel war neu. Ein paar Sekunden lang standen wir uns stumm gegenüber. Dann ging Mia zum Fenster, zog die Vorhänge zu, sodass die Nachmittagssonne gedämpft ins Zimmer fiel.

Weitere Kostenlose Bücher