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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sie schneller denkt als er und ihm immer alles genau erklären muss …«
    Â»Ist das ein Scheidungsgrund?«, fragte ich.
    Sie zuckte leicht mit den Schultern.
    Â»Auch das ist ein Grund, oder?«
    Â»Meinetwegen ja«, sagte ich.
    Jetzt hätte ich fast gelacht. Mancher Mann, dachte ich, würde es ebenso machen, oder die Frau nur behalten, weil er ein Kind von ihr wollte oder jemanden suchte, der ihm den Haushalt schmiss, das wusste ich zur Genüge. Mia dachte und handelte sachlich wie ein Mann. Ja, dann streng dich mal an, und sieh zu, dass du ihr gewachsen bist, überlegte ich, wobei ich innerlich seufzte. Es würde meinem Ego schlecht bekommen,
wenn sie mich einen Dummkopf nannte. Aber dann hätte ich es vermutlich verdient. Ich sagte: »Es kann vorkommen, dass diese Dinge am Anfang nicht sichtbar werden und erst zum Vorschein kommen, wenn man verheiratet ist.«
    Sie hatte wieder diesen kindlichen Blick, der viele täuschen würde.
    Â»Ja, solche Dinge sind nicht immer im Voraus zu erkennen.«
    Mit zunehmender Deutlichkeit wurde mir klar, dass sie bald nicht mehr da sein und ich die Trennung schlecht verkraften würde. Mit Depression, Nesselfieber, Analytiker, Valium und tutti quanti . Das bevorstehende Desaster jagte mir eine gehörige Portion Schrecken ein. Ich überlegte, wie ich die Katastrophe vermeiden könnte, und tastete mich behutsam einem noch unbestimmten Ziel entgegen.
    Â»Und du glaubst, dass ich dir beim Frühstück etwas zu sagen hätte?«
    Â»Aber wir haben noch gar nicht zusammen gefrühstückt«, erwiderte sie, worauf wir beide in Lachen ausbrachen.
    Â»Wir könnten das ja morgen nachholen«, sagte ich.
    Â»Gut«, sagte Mia. »Sozusagen als Generalprobe.«
    Â»Und dann?«, fragte ich.
    Â»Dann wird uns schon etwas einfallen«, meinte Mia.

8. Kapitel
    E ine Schilderung der ersten vierzig Jahre meines Lebens ersparte ich Mia, lieferte nur ein dünnes Maß an Informationen. Die Vergangenheit war bei mir ein alter Hut; Höhepunkte gab es nur wenig. Und nichts war eigentlich so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt hatte.
    Â»Man hält mich oft für langweilig«, gestand ich. »Irgendwie hängt das mit meinem Beruf zusammen. Kunsthistoriker gehen der Geschichte von Malern und Bildhauern nach, die zwar berühmt, aber längst gestorben sind. Sie befassen sich mit Fragmenten von Basreliefs, mit Keramikscherben. Sie liefern Datumsangaben, gründlich geprüfte Fakten. Sie haben eine Art hohe und einsame Stellung im Berufsleben, gelten als abgehoben, verstaubt und witzlos. Tanja meinte, dass sie es selten einen ganzen Tag mit mir aushalten konnte.«
    Â»Seid ihr nie zusammen in die Ferien gefahren?«, fragte Mia, doch etwas erstaunt.
    Ich seufzte.
    Â»Tanja bestand immer auf einem Wellness-Resort. Und weißt du was? Das ist eine Sache, die ich langweilig finde.«
    Mia sah in uns beiden ein amüsantes Kontrastprogramm.
    Â»Von mir wird eigentlich Bescheidenheit erwartet. Bescheidenheit ist eine japanische Tugend, musst du wissen.«
    Â»Auch bei uns. Man sagt: Bescheidenheit ist eine Zier.«
    Â»Ja, aber in unserer Familie funktioniert das nicht«, sagte Mia. »Wir sind herrisch, tyrannisch, dominant. Wir waren  –
und sind noch heute Außenseiter  – schwarze Schafe, die mit den Hörnern stoßen, in einer großen Herde, in der alle nur blöken, mäh, mäh!«
    Â»Hm«, murmelte ich. »Bist du sehr tyrannisch oder nur ein wenig?«
    Â»Halb und halb, es kommt darauf an. Man sieht es nicht auf den ersten Blick, weil ich gut erzogen wurde. Mir wurde früh beigebracht, freundlich zu sein und Emotionen in Schranken zu halten. Dass wir größenwahnsinnig sind, geht ja keinen Menschen etwas an. Vielleicht sieht man es nur an meiner Nase.«
    Â»Oh«, sagte ich, »was ist denn mit deiner Nase?«
    Â»Ich habe eine grausame Nase«, sagte Mia.
    Ich fand diese Nase recht hübsch. Sie war gerade, wohlgeformt, mit scharfen Nüstern.
    Â»Alle meine Vorfahren hatten diese Nase. Ich habe Fotos aus dem neunzehnten Jahrhundert gesehen. Schon damals ließen sich Japaner gerne porträtieren. Du bemerkst es sofort, wenn du die Fotos ansiehst. Alle haben die gleiche Nase und sehen recht bösartig aus.«
    Â»Zeigst du mir mal ihre Porträts?«
    Â»Mmm«, murmelte Mia schläfrig.
    Zwei Tage später sollte mein Flug nach

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