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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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in Japan nicht nur aß, um den Hunger zu stillen oder bis zum Umfallen satt zu werden, sondern um sich zu freuen, die Natur zu genießen, von ihr zu lernen, um mit dankbarem Gefühl weiterexistieren zu können. Das waren noble und philosophische Gedanken! Wir priesen die Natur und die menschliche Kunst, die alle Zutaten veredelte. Das ließ mich an meinen Vater denken, wenn er über die Musik sprach. Ich wurde dabei sentimental. Vor mir stand, als Abschluss der Mahlzeit, ein Grüntee-Eis, mit einem winzigen Papierschirm verziert. Ich ließ den Schirm in meinen Fingern kreisen, erzählte von meinem Vater, von seiner Haltung zur Kunst. Vor Rührung kamen mir fast die Tränen.
    Â»Die Oboe war seine Stimme, das sagte mein Vater immer wieder. Als Kind hatte er gestottert. Er wurde in der Schule ausgelacht, hatte Komplexe. Er konnte nicht einmal singen. Aber Musik machen, das konnte er. Zuerst Blockflöte, dann Oboe. Er sagte, Oboe spielen war zum ersten Mal in seinem Leben etwas, das er besser konnte als alle anderen. Oboe ist nicht sexy, sagte Mutter, der Musiker bekommt einen roten Kopf, wie auf dem Klo  – er sitzt da und presst. Man muss die Augen schließen, dann aber singen die Engel …«
    Â»Oooh!«, riefen Mia und Isao unisono. Ich wischte mir die Augen, und Isao erzählte: »Als Kind wollte ich immer Shakuhachi spielen, Bambusflöte. Und alle sagten, das Kind ist eine Nervensäge. Ich wollte immer auffallen. In der Musik, in der Mode, in allem. Heute spiele ich nicht viel besser, aber immerhin bin ich gut gestylt.«
    Ich fand das großartig, dass wir uns persönliche Sachen erzählten, so ganz ohne Hemmungen, und uns auf diese Weise näherkamen.
    Â»Ich liebe deine Krawatte«, sagte ich zu Isao. »Und deine Socken finde ich echt toll.«

    Â»Ich mag Küken«, sagte Isao. »Und Gelb auf Schwarz sieht richtig schön aus. Es gibt auch Muster mit Hasen oder Pinguine. Die Socken sind aus Merinowolle, sehr angenehm. Man findet sie in einer Boutique, in Shibuya. Soll ich dir die Adresse geben?«
    Â»Ich  – ich trage keine Socken«, sagte ich. »Da sind immer sofort Löcher drin. Meine Mutter sagt, dass ich zu harte Fußnägel hab. Wie Hundekrallen, verstehst du? Die wachsen sofort nach, wenn ich sie schneide.«
    Â»Mmm, ja, unangenehm, ich sehe schon«, sagte Isao.
    Ich beugte mich über den Tisch.
    Â»Isao, kannst du singen?«
    Â»Nein, nein!« Mia bog sich vor Lachen. »Er kann nicht singen. Bring ihn bloß nicht dazu, tu mir den Gefallen!«
    Â»Ich, ich habe eigentlich eine schöne Stimme«, sagte ich. »Ich hätte Tenor werden können. Mia, soll ich dir mal was vorsingen?« Sie sah mich skeptisch an. Ich trank einen Schluck Sake und begann: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …«
    â€¦ dass ich so traurig bin.
    Ein Märchen aus alten Zeiten.
    Â»Das geht mir nicht aus dem Sinn.«
    Â»Oooh!«, rief Mia bewundernd.
    Auch Isao sagte, die Melodie sei sehr schön  – deutsche Romantik, nicht wahr?,  – und ich solle weitersingen. Ich setzte an, aber da kam die Kellnerin, räumte den Tisch ab, und als ich weitersingen wollte, hatte ich schon ein anderes Lied im Kopf, das lustiger war.
    Â»Komm Isao, setz dich zu mir! Das ist so richtig zum Schunkeln! Weißt du, was das ist, schunkeln?«
    Er wusste, was das war, rückte an meine Seite, und ich schob meinen Arm unter den seinen.
    Â»Es gibt kein Bier auf Hawaii …«, sang ich, und es hörte sich richtig viril an. Isao war begeistert.

    Â»Oh, das kenne ich!«
    Eng umschlungen schaukelten wir hin und her und erklärten rhythmisch und in voller Lautstärke, dass von dem Hula, Hula, na ja, der Durst eben doch nicht wegging. Und dann kam die Kellnerin mit zwei anderen Mädchen. Alle guckten neugierig und beeindruckt, klatschten Beifall und riefen unentwegt »Oooh!« Daraufhin wollte Isao noch mehr Sake bestellen, aber da bemerkten wir, dass Mia sich bereits erhoben hatte und in ihre Schuhe schlüpfte. Sie wollte offenbar schon gehen. Spielverderberin! Isao und ich fanden das schade, die Stimmung war gerade so gut, aber wir kamen trotzdem auf die Beine, stolperten und hielten uns gegenseitig fest, während Mia an der Kasse stand und die Rechnung beglich. Dann gingen Isao und ich pinkeln  – es wurde für uns beide wirklich

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