Tochter des Windes - Roman
dringend  â, und auf der Herrentoilette zeigte ich Isao meine spitzen FuÃnägel, damit er sich ein Bild davon machen konnte. Und Isao zeigte mir, dass er eine Unterhose aus roter Seide trug, die wunderbar anschmiegsam auf der Haut lag. Er gab sie direkt bei einer Firma in Auftrag; ob ich die Adresse haben wollte? Danach kamen wir zufrieden aus dem WC. Mia wartete auf uns und machte  â keine Ahnung warum  â ein komisches Gesicht. Sie stützte mich auf der steilen Treppe, und Isao klammerte sich an ihrem Rücken fest. So schleppte sie uns beide die Stufen hinunter. Und dann standen wir drauÃen, es war dunkel und feucht, und ich sagte, ich sei wohl ein bisschen beschwipst, aber mein Gleichgewicht sei noch gut, und ich wollte Mia das jetzt beweisen. Ich versuchte also einen Handstand gegen eine Wand, versuchte es ein paarmal, aber es gelang mir nicht, weil jemand mich immer wieder festhielt. Etwas später hielt ein Taxi dicht neben uns, die Tür sprang auf, und ich bedankte mich bei der Tür, das sei sehr nett von ihr, sich ungefragt zu öffnen. Dann fuhren wir durch das flimmernde Tokio, und ich sang:
»Es dunkelt schon auf der Heide,
Nach Hause lass uns gehen,
Wir haben das Korn geschnitten â¦Â«
Ich tremolierte im wunderschönen Tenor, der Sake machte die Stimme geschmeidig, aber Isao plapperte immer wieder »Deutsche Romantik« dazwischen und wollte auch singen, sang aber falsch. Und dann hörte ich den Taxichauffeur etwas sagen, das sich wie yopparatta anhörte. Ich fragte Mia, was das bedeutete, und Mia antwortete höflich, der Chauffeur meinte, dass wir wohl einen Rausch hätten. Ich fragte Isao, ob er auch fand, das wir beide yuppi, yuppi waren, aber Isao antwortete nicht, denn er hatte den Kopf auf meine Schulter gelegt und schlief mit offenem Mund. Sein Kopf wog eine ganze Tonne, und ich schob ihn auf die Seite, aber Isao grunzte nur und fiel immer auf meine Schulter zurück. Und das war ungefähr das Letzte, woran ich mich später erinnerte. Danach kam nichts als Dunkelheit, und ich hörte mich schnarchen.
13. Kapitel
D as Schrillen des Telefons riss mich aus dem Schlaf. Ich grunzte, warf mich schwerfällig auf die andere Seite. Ich fühlte mich, als ob ich mit Klebstreifen an der Matratze befestigt war. Das Schrillen hörte nicht auf, vibrierte schmerzhaft in meinem Kopf. Ich musste dem Getöse ein Ende bereiten, bevor ich toll wurde. Ich tastete mit dem freien Arm über den Nachttisch, erwischte den Hörer und lieà ihn fallen. Er baumelte vor meinem Gesicht an der Schnur hin und her. Endlich gelang es mir, ihn festzuhalten und an mein Ohr zu drücken.
»Hmm?«, krächzte ich.
»Rainer, wach auf!«
Es war eine Stimme, die ich kannte.
»Mia!« Ich zog mich mühsam hoch, mein Kopf tat mir zum Verrücktwerden weh.
»Tut mir leid«, lallte ich. »Ich ⦠glaube, dass ich verschlafen habe â¦Â«
Eine Spur von Gelächter schwang in ihrer Stimme.
»Raus aus dem Bett, Rainer!«
»Wo ⦠wo bin ich?«, stotterte ich.
»In Tokio! Du musst dich an die hiesige Zeit anpassen. Ich komme gleich, ja? Wir treffen uns im Frühstücksraum.«
Sie lieà mir keine Zeit, eine Widerrede zu formulieren, und brach das Gespräch ab. Brummelnd schob ich beide Beine aus dem Bett. Meine Schlaf- Yukata hing schief, war zerknittert
und roch schlecht. Ich bewegte mich wie in Zeitlupentempo, tat jeden Schritt, als ob ich auf Eiern lief. Steif und gemessen wankte ich ins Bad, sah mein verquollenes Gesicht im Spiegel und fragte mich, was Mia wohl an diesem Typen, der so unsexy wirkte, wie er lang war, überhaupt finden konnte. Irgendwie war gestern Abend vieles schiefgelaufen. Ich hatte Dinge gesagt und getan, die ich in normalem Zustand nie gesagt oder getan hätte, aber es mochte ja sein, dass ich das alles nur geträumt hatte. Ich stieg in die Wanne, regulierte das strömende Wasser, bis es zuerst kochend heiÃ, dann eiskalt war und meine Poren sich beim Anhauch des kühlen Wassers schon im Voraus kräuselten. Mir war, als ob jedes Stückchen Haut sich vor Schreck zusammenzog  â Schauderkaskaden von oben bis unten, ja, auch auf dem Kopf. Das tat gut. Frisches Blut sprudelte unter meiner Haut, spülte den Druck in den Schläfen weg, linderte die Kopfschmerzen. Ich drehte das Wasser ab, schüttelte mich wie ein Hund, trocknete
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