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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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weiß eben nichts, dachte ich, bevor man nicht da war und es selbst gesehen hat.
    Wir gingen über eine Kreuzung, betraten ein größeres Geschäftshaus.
Die Empfangshalle war ganz mit Marmor ausgelegt, durch das ferne Glasdach fiel Tageslicht. In der Mitte befand sich ein Wasserbassin mit Seerosen. Ein lautloser, silbrig funkelnder Aufzug brachte uns in die achte Etage. Das Büro war ein Loft mit großer Fensterfront. Viel Platz, viel Licht, Designermöbel, weiße Orchideen und Wände in verschiedenen Weißnuancen, aufgelockert durch Fotos und Maquetten von Gebäuden. Die Räume zeigten Stilbewusstsein, wobei der Eindruck von Leichtigkeit und Improvisation überwog. Einige Mitarbeiter, Frauen und Männer, alle elegant und dunkel gekleidet, saßen vor Computern und grüßten höflich. Der Raum, in dem Isao und Mia arbeiteten, war durch eine Glaswand getrennt, sodass jeder sein eigenes Büro hatte. Als ich Mia durch die Schiebetür folgte, kam, hinter einer großen Bücherwand, Isao hervor, die Arme vollbepackt mit Bildbänden. Bei Tageslicht wirkte er älter, sein Gesicht ein wenig blass. Zu viel Sake? Doch er lächelte herzlich, schüttelte mir die Hand, klopfte mir vertraulich auf die Schulter.
    Â»Gut geschlafen, Rainer-San?«
    Ich räusperte mich.
    Â»Ja, danke, nicht schlecht. Und Mia stellte mir das richtige Frühstück zusammen.«
    Â»Oh«, sagte er munter. »Ein gutes Frühstück weckt die Lebensgeister.«
    Ich überreichte ihm meine Visitenkarte, die ich vorsorglich bei mir trug.
    Â»Danke für den schönen Abend, Isao-San.«
    Er deutete eine Verbeugung an.
    Â»Es war mir ein Vergnügen.«
    Ich registrierte, dass seine Krawatte ein Muster mit Foxterriern aufwies. Wahrscheinlich hatte er die passenden Socken dazu an. Ich wandte die Augen ab, wies auf die Bücherwand,
die, wie ich jetzt bemerkte, nur die Außenseite einer richtigen Bibliothek bildete.
    Â»Weißt du eigentlich, wie viele Bücher du besitzt?«
    Die Antwort kam von Mia.
    Â»Er weiß es nicht, aber ich habe mal eine Liste gemacht. Ungefähr dreitausend. Unsere Sammlung ist vorwiegend auf Architektur ausgerichtet.«
    Â»Und alles nur auf Japanisch!«, seufzte ich.
    Â»Nein. Wir haben auch Bücher in der Originalsprache, deutsch oder englisch. Und sogar italienisch.«
    Â»Bei uns stehen die Bücher im Mittelpunkt«, sagte Isao. »Im Sinne der Idee, meine ich. Architektur, Philosophie und Naturwissenschaft ergänzen sich, ne?«
    Wir wanderten um die Bücherwand herum. Auf den Regalen aus edlem Holz entdeckte ich Mario Botta, Renzo Piano und Le Corbusier. Aber auch Dante Alighieri, Meister Eckehard von Huysburg, Averroes und Hildegard von Bingen. Und eine Ausgabe der Carceri d’Invenzione von Piranesi, die dem Aussehen nach antik und sehr teuer war. Ich pfiff beeindruckt durch die Zähne.
    Â»Donnerwetter! Hier möchte ich mal einen Tag verbringen.«
    Â»Jederzeit!«, sagte Isao.
    Er führte mich zu einem Diwan, lachsrot und schwungvoll elegant, vor dem ein niedriger Tisch aus Naturholz stand. Wir setzten uns, und ein smart gekleideter junger Mitarbeiter brachte Tee in dunkelvioletten Keramikschälchen, verneigte sich lächelnd und verschwand wie ein liebenswürdiger Geist.
    Â»Wie ruhig es hier ist«, sagte ich.
    Isao nickte.
    Â»Wir brauchten ein ruhiges Arbeitsumfeld. Kurz vor Abgabetermin bei einem Wettbewerb oder in den Endphasen eines Auftrags ist bei uns eine Achtzehn-Stunden-Hirnarbeit
völlig normal. Und am nächsten Tag alles wieder von vorn. Da bleiben uns kaum sechs Stunden zum Schlafen!«
    Â»Wie überlebt ihr das?«
    Â»Na ja, wir sind ein gutes Team«, sagte Mia. »Wir diskutieren und planen unsere Arbeit im Voraus. Alles wird intensiver, weil wir die Dinge zusammenmachen. Architektur, das ist unser Leben.«
    Â»Und manchmal auch das Ende von Freizeit und Privatsphäre«, sagte Isao. »Aber wir ergänzen uns perfekt. Bevor es ans Entwerfen geht, haben wir bereits geklärt, wie wir bauen wollen und mit welchen Materialien.«
    Â»Na ja«, meinte Mia, »man könnte sagen, dass wir im Gleichklang von geteiltem Leid und doppeltem Spaß leben. Unsere Aufgaben sind klar umrissen. Urlaub nehmen wir uns, wenn es geht. Ich war in Prag, weil ich meinen Teil der Vorarbeit geleistet hatte. Wenn Isao mit seinen Entwürfen fertig ist, geht er in Urlaub. So

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