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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Sache kaum besser machte, waren ja die hiesigen Weihnachtsbäume zumeist aus Plastik.
    Das eigentliche Winterfest Japans war Neujahr. Wie im Westen begann das neue Jahr am ersten Januar. Zwar war das authentische Datum der fünfzehnte Februar und hing mit dem Mondkalender und dem Zyklus der Feldarbeit zusammen, aber der erste Januar war eine Konzession an den 1872 eingeführten Sonnenkalender. Wie dem auch sei, ich mochte das japanische Neujahr sehr, nicht zuletzt, weil ich zum ersten Mal Mia im Kimono bewundern konnte. Jede Japanerin, die etwas auf sich hielt, zeigte sich zu Neujahr im Kimono. Eine Augenweide! Mia erklärte mir, dass der Kimono, heute
wie einst, aus echter Seide und Brokat zu sein hat. Er wurde mit der Hand genäht, was die Unsumme erklärte, die man dafür zu bezahlen hatte. Abends wollten wir essen gehen und dann um Mitternacht einen der großen Tempel aufsuchen, wo das Neue Jahr eingeleitet wurde. Mia hatte mir eine Überraschung angekündigt, und als sie ihrem Taxi entstieg, verschlug es mir fast den Atem. Unglaublich schön sah sie aus, in ihrem Kimono mit dem blau-goldenen Wellenmuster, den eleganten Glückskranichen. Der schwere Saum war mit einem Muster aus Fichtennadeln und Bambus verziert.
    Der grüne Damast der Obi -Schärpe hatte ein mit Goldfäden geschmücktes geometrisches Muster. Dazu hatte Mia die traditionelle Handtasche bei sich, einen Seidenbeutel, der mit einem buntbestickten Zugband verschlossen wurde. Weil nachts die Temperatur unter null sank, trug Mia, wie viele Japanerinnen, einen Kurzmantel aus schwerer Seide, Haori genannt, und eine Kollerette aus weißem Fuchsfell. Ihr Gesicht war hell gepudert, ihre Lippen dunkelrot nachgezogen. Ihr Haar trug sie aufgesteckt, mit zwei silbernen Flügeln als Schmuckspangen. Sie blinzelte mir schelmisch zu.
    Â»Du sagst ja nichts. Wie findest du mich?«
    Ich schluckte.
    Â»Wie wär’s, wenn du das jeden Tag tragen würdest?«
    Sie lachte, bewegte lebhaft verneinend beide Hände.
    Â»Das wäre ganz schrecklich! Du ahnst nicht, welche Prozedur ich hinter mir habe! Ich bin zwei Stunden früher aufgestanden, und Isao musste mir helfen, den Obi richtig zu schlingen, sonst hätte ich Mutters Erbstück entehrt!«
    Ich war sehr erstaunt.
    Â»Aber der Kimono sieht doch wie neu aus.«
    Â»Dieser? Der ist längst über siebzig. Der Schnitt verändert sich ja nie. Jeder Stich ist Handarbeit. Der Kimono wird in einer Schublade aufbewahrt und so zusammengelegt, dass
jede Falte stimmt. Japanerinnen wissen, dass Kimonos ein paarmal im Jahr ausgeschüttelt und gelüftet werden sollen. Waschen kann man sie nur in fließendem Wasser. Es gibt Spezialisten dafür. Die Kimonos werden vollständig aufgetrennt und danach wieder zusammengenäht.«
    Â»Dann musst du aber aufpassen, dass du keine Flecken machst.«
    Mia verzog das Gesicht.
    Â»Ja, ich weiß. Ich muss heute Abend sehr vorsichtig sein. Was man problemlos waschen kann, ist das weiße Untergewand. Der Kragen muss immer absolut sauber sein, darf keine Make-up-Spuren zeigen oder so.«
    Ich wurde nicht leid, die bezaubernde Erscheinung in allen Einzelheiten zu betrachten.
    Â»Der Kimono passt dir, als wäre er für dich gemacht!«
    Sie nickte.
    Â»Meine Mutter war kleiner als ich, aber das ist kein Problem, die Länge wird durch eine Falte unter der Schärpe bestimmt.
    Â»Und wenn du zunimmst?«
    Sie blinzelte schelmisch.
    Auch kein Problem. Ein Faltenwurf im Vorderteil verändert die Weite. Aber die Farben müssen mit der Jahreszeit harmonieren. Grün, Eisblau und Gold sind die richtigen Farben für den Winter.
    Ich war voller aufrichtiger Bewunderung. Kimonos hatte ich schon im fünften oder sechsten Stockwerk der vornehmen Warenhäuser gesehen. Sie hingen auf Lackstangen ausgebreitet wie wertvolle Gemälde. Aber Mias sachkundige Erklärungen brachten mir eine Welt der Eleganz und Raffinesse näher, von der ich bisher keine Ahnung gehabt hatte. Und obgleich sie in belustigtem Ton darüber sprach, spürte ich doch in ihren Worten die Ehrfurcht vor dem Schönen und Kostbaren.

    Â»Hast du noch mehr Kimonos?«, fragte ich.
    Â»Oh, etwa fünfzehn! Aber ich kann sie nicht alle tragen. Farben und Ärmel stimmen nicht mehr.«
    Â»Wieso? Sind sie aus der Mode gekommen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Â»Kimono kommen nie aus der Mode. Aber ich bin nicht mehr

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