Tochter des Windes - Roman
überzeugt, dass er es mit Eisblöcken zu tun hat, und wird Misanthrop. Zum Glück bleibt mir das erspart.«
Mia trank Sake und schien amüsiert.
»Du bist meistens gut gelaunt. Die Leute mögen das.«
»Doch, doch. Mein Snobismus hält sich in Grenzen. Ich stelle lieber dumme Fragen als überhaupt keine.«
»Und dein Buch? Wie kommst du voran?«
Ich nahm einen Schluck und glotzte in den winzigen Becher, als enthielte dieser den tiefen Kern der Wahrheit.
»Ich weià es nicht. Ich weià es wirklich nicht.«
»Recherchierst du?«
»Jedenfalls nicht so, wie andere recherchieren würden. Und jedenfalls nicht ernsthaft. Ich lebe, ich schaue mir Japan an.«
»Das kann sehr anregend und unterhaltsam sein«, sagte sie sarkastisch. »Aber ist das alles?«
»Nein. Nachher denke ich nach.«
»Worüber?«
»Ãber das, was ich beobachtet habe. Und auch über das, was sich früher in meinem Haus abgespielt haben könnte.«
Sie lächelte.
»Du willst auch über das Haus schreiben?«
»Ja, deinetwegen!«
Mias stilles Lachen wurde lebhafter.
»Und was hast du bei mir entdeckt?«
»Oh, so manches!«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, dass ein Teil meiner Beobachtungen zu Dingen führt, die ich zunächst für widersinnig gehalten habe.«
»Du meinst, dass wir ein stressiges Leben führen können und uns trotzdem viel amüsieren?«
»Stressbewältigung«, sagte ich beherzt, »ist nicht unbedingt ein Verdienst der Person, sondern ein Ergebnis überlieferter Disziplin.«
»Die Disziplin«, sagte Mia spöttisch, »lässt sich kunstvoll verbergen!«
»Genau das meine ich ja!«, rief ich, entzückt darüber, dass sie mich auf Anhieb verstanden hatte. »Und eins kann ich dir sagen  â ein Thema ragt immer wieder heraus: Was, wenn eine Kultur ganze Generationen intelligenter Leute hervorbringt ? Ohne religiöse Vorschriften, ohne Aberglauben, ohne zu groÃe materielle Armut? Die gelernt haben, ihr Wissen immer wieder neu zu ordnen und abzuwägen?«
»Du meinst, eine Dynastie von KlugscheiÃern?«
Ich starrte sie an.
»Hör mal, ich würde mir nie erlauben â¦Â«
Sie lachte laut. Es klang, als ob sie kleine Glöckchen schüttelte.
»Windtöchter sind einfach eine coole Gattung.«
Es war inzwischen zwei Uhr nachts, mir fehlte der Schlaf, aber ich war nicht im Geringsten müde. Ich streichelte Mias Hand.
»Und sehen im Kimono überaus sexy aus.«
Sie sah zufrieden an sich herunter.
»Kein Flecken! Das ist mein Neujahrsgeschenk an Mutter.«
»Du hast ja auch kaum etwas gegessen.«
»Ist heute unwichtig.« Sie sah mich an, schelmisch, mit seidenheller Haut und Glanzlichtern in den Augen. Ich mochte Frauen mit Lippenstift, der nicht abfärbte, was der Quadratur des Kreises gleichkam. Aber, oh Wunder der japanischen Kosmetik, Mias Lippen leuchteten nach wie vor frisch, wie karminrot lackiert.
»Soll ich dir sagen, was das Praktische am Kimono ist?«
»Oh«, sagte ich zweifelnd. »Gibt es auch etwas Praktisches daran?«
»Ja. Man braucht viel Zeit, um ihn anzuziehen. Und nur ganz wenig Zeit, um ihn wieder auszuziehen.«
Der Sake war mir zu Kopf gestiegen. Gleich würde ich wieder deutsche Schnulzen trällern. Ich nahm mich zusammen.
»Oh? Wie macht man denn das?«
»Einfach die Schärpe lösen ⦠und alles rutscht weg. Liegt einfach da, auf dem Boden. Soll ich es dir mal zeigen?«
Ihre Hände tasteten hinter ihrem Rücken, machten sich an der Schleife zu schaffen. Diesmal war sie offenbar noch betrunkener als ich. Ich drückte ihren Arm ziemlich fest. Sie schnitt eine leichte Grimasse, lieà aber von ihrer Schärpe ab. Ich sagte: »Ich glaube dir aufs Wort! Komm, wir gehen!«
Mia nestelte unsicher an den Bändern ihrer Handtasche, brachte ein blütenweiÃes Taschentuch zum Vorschein und tupfte sich elegant die Stirn ab.
»Warum willst du gehen? Ich habe noch Hunger. Ich hätte noch gerne eine Nudelsuppe.«
Das würde dem Kimono schlecht bekommen. Mia war etwas durcheinander, sie schwankte und hielt sich am Tisch fest. Ich packte sie an der Hand, zerrte sie hoch. Sie lieà es mit sich geschehen, und ich schob sie durch den Raum, wobei ich mit dem Kassenzettel wedelte und hysterisch nach einem Taxi rief.
21. Kapitel
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