Tochter des Windes - Roman
die Bettwäsche ab und stopfte sie mit der schmutzigen Wäsche in die Waschmaschine. Dann überzog ich die Futons frisch und rollte die weichen Daunendecken zusammen. Ich verstaute sie im Wandschrank, als ich eine ungeschickte Bewegung machte. Um das Gleichgewicht zu halten, stützte ich mich mit dem Ellbogen
auf den Schrankboden aus weiÃem Holz. Ich vernahm ein leichtes Knarren, der Boden glitt zur Seite, und zu meiner Ãberraschung kam eine Ãffnung zum Vorschein. Offenbar hatte ich einen diskret angebrachten Mechanismus ausgelöst. Die Ãffnung, unter einem schmalen Brett verborgen, war gerade groà genug, dass ich den Arm hineinstecken konnte. Ein Geruch nach Kampfer stieg empor: Ich zögerte, bevor ich neugierig in das Loch tastete. Meine suchenden Finger berührten irgendwelche Gegenstände. Es war ein Leichtes, sie mit der Hand zu erreichen und behutsam herauszuholen. Zum Vorschein kamen eine Anzahl schmaler Schreibhefte, alle mit diesem pergamentartigen Papier, das man noch in traditionellen japanischen Schreibwarenhandlungen findet. Ich zählte acht solcher Hefte. Jede der dünnen Seiten war mit Schriftzeichen bedeckt. Diese Schrift war die wundervolle, aber für jeden Laien fast völlig unleserliche Schrift der älteren Generation. Es sah aus, als ob tintenfeine Blütenranken sich über jede Seite zogen. Ich ging in die Küche, goss mir einen Tee auf und setzte mich vor meinen Schreibtisch. Behutsam blätterte ich die Seiten um; dann und wann glaubte ich ein Wort zu verstehen, war jedoch nicht imstande, mir eine klare Aussage zusammenzureimen. Was mir auffiel, war ein oft wiederkehrender roter Siegelabdruck, ein seltsames Zeichen, das gleichzeitig an einen Flügel und an eine Muschel denken lieÃ. Die Schriftzeichen zogen sich von einer Seite auf die andere, es schien, als würden sie gar nicht mehr unterbrochen, selbst die Zwischenräume schienen harmonisch eingefügt. Nach einer Weile fielen mir einige Katakana- Schriftzeichen auf, die für ausländische Namen oder Begriffe verwendet werden. In einem der Hefte kamen diese Schriftzeichen in kurzem Abstand immer wieder vor. Nur drei Silben, wie ich bemerkte. Ich sprach sie phonetisch nach und erlebte meine zweite Ãberraschung, als ich den Namen
Jan Letzel heraushörte! Um ganz sicher zu sein, sprach ich das Ganze noch einmal nach, diesmal langsamer, wechselte die Betonung. Doch nein! Ein Irrtum war ausgeschlossen! In diesen Heften war tatsächlich von Jan Letzel die Rede. Ich erinnerte mich an das, was ich von Mia wusste, nämlich, dass Tante Azai Jan Letzel gekannt hatte. Jetzt konnte ich es kaum erwarten, dass Mia eintraf. Sie kam dann auch, ein wenig verspätet, das braune Haar vom Wind leicht zerzaust. Sie trug eine wattierte Lederjacke, enge braune Hosen und warme Stiefeletten, aus denen sie an der Türschwelle elegant herausschlüpfte. Sie kam nie ohne ein Geschenk: Diesmal hatte sie mir kleine Kuchen mit Maronifüllung mitgebracht, die ich besonders mochte.
»Mmm!« sagte ich. »Ob mir das wohl schmeckt?«
Sie lachte. Sie war die einzige Frau, die sich nicht an meinem blöden Spruch störte.
»Keine Angst! Es wird dir schon schmecken.«
»Dir aber hoffentlich auch«, sagte ich.
»Mir schmeckt alles«, erwiderte sie heiter. Das stimmte: Sie nörgelte selten am Essen herum.
Ich nahm ihr das Kuchenpaket ab, und als ich sie in die Arme schloss, spürte ich den Hauch ihres feinen Parfüms. Wir küssten uns; ihr Mund war kühl und weich, und sie trug keinen Lippenstift.
»Seit wann haben wir uns nicht mehr gesehen?«, fragte ich. »Seit drei Monaten?«
Sie lachte wieder.
»Aber nein, erst seit drei Tagen.«
»Wenn du nicht da bist, kommt mir die Zeit so lang vor.«
Sie sah mich mit zärtlicher Nachsicht an, antwortete aber nicht, sondern löste sich von mir und zog ihre Jacke aus. Darunter trug sie einen beigen Rolli, der ihrer Haut eine honigfarbene Tönung gab.
»Wie lange bleibst du?«, fragte ich.
»Ãbers Wochenende, wenn es dir Freude macht.«
»Ich glaube an mein Glück!«
Sie strich mit beiden Händen ihr Haar aus der Stirn, eine zierliche, sehr weibliche Geste, die mich stets aufs Neue entzückte.
»Du wirst glücklich werden. Aber am Montag um neun muss ich wieder auf dem Bau sein â¦Â«
»In Gummistiefeln?«
»Ja, und mit einem Helm auf dem Kopf.«
»Bis
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