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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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es so weit kommt«, sagte ich, »habe ich dir einiges zu erzählen. Und ich muss dir zunächst etwas zeigen.«
    Ich deutete auf die Hefte, die ich auf dem Schreibtisch ausgebreitet hatte, und rückte für sie einen Stuhl zurecht.
    Â»Was ist denn das?«, murmelte Mia.
    Sie sah sich die Hefte an, überflog neugierig einige Seiten.
    Â»Kannst du die Schrift lesen?«, fragte ich.
    Sie nickte. Ihr Gesicht zeigte einen verwunderten Ausdruck.
    Â»Wo hast du diese Hefte gefunden?«
    Â»Oben im Schlafzimmer. Im Wandschrank.«
    Ich erklärte ihr, wie ich das Geheimfach durch Zufall entdeckt hatte. Sie blätterte in den Heften mit zunehmender Aufmerksamkeit.
    Â»Das hat Tante Azai geschrieben. Das ist ihre Schrift.«
    Â»Jan Letzel«, sagte ich. »Den Namen zumindest konnte ich lesen…«
    Ich deutete auf die Katakana -Schriftzeichen. Ich hatte im Gedächtnis behalten, wo sie vorkamen. Mia nickte mehrmals, ohne aufzusehen. Ihre Erregung war ganz offensichtlich.
    Â»Was schreibt sie denn über Letzel?«, wollte ich wissen.
    Â»Warte«, sagte Mia. »Es geht nicht so schnell.«

    Â»Lass dir Zeit.«
    Sie nickte, stützte den Kopf in beide Hände und las. Ich sah auf die Uhr, gleich Mittag. Ich ging in die Küche und schälte Kartoffeln. Mia mochte Bratkartoffeln mit Speck, urdeutscher ging es nicht. Und Bratkartoffeln lagen ganz in meinen beschränkten Kompetenzen. Ich schnitt die Kartoffeln in die Bratpfanne, öffnete eine Flasche Rotwein, brachte zwei Gläser an den Tisch und ging wieder in die Küche. Ich wusch Salat, schnitt einige Tomaten und Radieschen in Scheiben, damit das Ganze hübsch aussah. In Japan konnte auch ein Banause, wie ich es war, nicht einfach ein Mittagessen ohne Schnickschnack auf den Tisch bringen. Das gehörte sich einfach nicht.
    Als die Bratkartoffeln brutzelten, deckte ich den Tisch. Mia saß immer noch an der gleichen Stelle. Ich sah ihr geneigtes Profil, diese anmutige, sanft geschwungene Linie, die doch so viel Energie ausstrahlte. Was ist es, dachte ich, das mich so an ihr fesselt? Kommt es daher, dass sich in diesem Profil Sanftheit und Energie so vollkommen vereinen? Ich stellte die Schüssel mit den Bratkartoffeln auf den Tisch, ohne dass Mia reagierte. Sie schien völlig vertieft in das, was sie las. Schließlich räusperte ich mich.
    Â»Mia, das Essen ist fertig!«
    Sie fuhr leicht zusammen, hob den Kopf und schnupperte.
    Â»Oh, Bratkartoffeln!«
    Â»Ja, mit Spiegeleiern. Tut mir leid, dass ich kein besserer Koch bin.«
    Â»Nein, nein, es duftet wundervoll.«
    Ich deutete auf die Hefte.
    Â»Bist du inzwischen weitergekommen?«
    Mia schüttelte leicht den Kopf. Sie hatte nicht richtig zugehört. Ich blickte sie fragend an. Sie erwiderte meinen Blick, als ob sie soeben vom Mond gefallen sei.

    Â»Ich habe noch nicht alles gelesen, tut mir leid. Das, was sie schreibt, ist so außergewöhnlich …«
    Â»Ein Tagebuch?«
    Â»Ja … nein, ich weiß nicht.«
    Mia wirkte immer noch benommen. Doch sie kam an den Esstisch, und wir setzten uns. Unsere Beine baumelten im Kotatsu . Ich bediente sie mit Bratkartoffeln. Mia griff verwirrt nach der Gabel.
    Â»Spannend?«, fragte ich, als sie immer noch schwieg.
    Mia schob ihren Ellbogen mit einem jähen Ruck zur Seite, und es gelang meiner vorschnellenden Hand, ihren Teller noch gerade rechtzeitig vor dem Herunterfallen zu bewahren. Das brachte sie in die Wirklichkeit zurück.
    Â»Oh!«, stöhnte sie, »oh, oh! Ich bin etwas konfus.«
    Â»Es dürfte schwerfallen, das zu übersehen«, meinte ich leicht sarkastisch. »Lass es dir trotzdem schmecken.«
    Sie nahm gedankenlos ihre Gabel auf, legte sie wieder hin.
    Â»Oh, Rainer … nimm es mir nicht übel. Ich glaube, ich kann im Augenblick nichts essen …«
    Â»Und was steht in diesen Heften«, fragte ich, »dass es dir so den Appetit verdirbt?«
    Sie tastete zerstreut nach ihrem Weinglas.
    Â»Tante Azai ist wirklich … eine erstaunliche Person. Memoiren beruhen doch auf der Erinnerung an das eigene Leben, ne?«
    Â»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ich würde nie meine Memoiren schreiben, weil ich für mich kein Thema bin.«
    Mia wurde allmählich lebhaft.
    Â»Das ist es ja eben. Tante Azai schreibt keine Autobiografie.«
    Â»Was denn sonst? Eine Familienchronik?«
    Mia schüttelte den

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