Tochter des Windes - Roman
sie nur eine Regel zu beachten hatten, nämlich die Diktatur des rechten Winkels. Aber der rechte Winkel stand einer Kuppel im Weg. Eine Kuppel konnte nicht anders als quadratisch oder hexagonal sein. Nobunaga aber bestand auf einer echten Kuppel. Der Baumeister löste das Problem, indem er einen oktogonalen Grundriss entwarf. Das achteckige Gebäude wurde durch neun Säulen gestützt, die nicht wie Ecksäulen vom Tragbalken abgeschnitten waren, sondern bis unmittelbar unter den Firstbalken ragten.
»Nobunaga bekam also seine Kuppel?«
»Er bekam sie. Wenn auch nicht ganz nach vatikanischem Vorbild. Sie war eher spitz als rund, und auch nicht aus Stein. Nobunaga fand das billig. Es musste pures Gold sein. Das Bauwerk war  â wie wir heute sagen würden  â total glamourös und schockierend für seine Zeit. Es war der erste hölzerne Wolkenkratzer dieser Welt, die Turmpagode erreichte gute sechsundvierzig Meter! Und der portugiesische Jesuit Luis Frois, der dreiÃig Jahre in Japan lebte und flieÃend Japanisch sprach, schrieb, ziemlich erschlagen von dem ganzen Pomp, dass es in Europa kein vergleichbares Luxusbauwerk gäbe! Für die Weltausstellung in Sevilla wurde 1992 übrigens ein Modell im MaÃstab eins zu zwanzig nachgebaut. Die Maquette soll die höchste Zahl der Besucher auf dem Ausstellungsareal erreicht haben. Daneben versuchte Luis Frois unverdrossen, Nobunaga zu bekehren. Er hatte Humor und berichtete von einem Gespräch mit dem Daimyo, in dem er diesen ermahnt, sich durch das heilige Wasser der Taufe vor
den Qualen zu schützen, die der Teufel ihm zufügen würde. Nobunaga erwiderte, seine Samurai seien ihm Schutz genug. Daraufhin gibt Frois dem Daimyo zu bedenken, dass der Christengott seinetwegen am Kreuz gestorben sei. Worauf Nobunaga entgegnete, er habe ihn ja nie gebeten, das zu tun.«
Ich musste lachen.
»Da war nichts zu machen. Der arme Jesuit!«
Mia sprach weiter: »Leider sollte Nobunaga kaum Gelegenheit haben, sich an seinem Schloss zu erfreuen. Schon drei Jahre später, 1586, ging der Prunkbau in Flammen auf.«
»Wie kam das?«
»Man weià es nicht. Es heiÃt, Nobunaga habe einem Vertrauten befohlen, das Schloss in Brand zu setzen, damit es nicht von Feinden eingenommen wurde.«
»Sic transit gloria mundi!«, kommentierte ich.
»Ja«, sagte Mia. »Er hatte sich allzu unbeliebt gemacht.«
»Und sein Baumeister war also ein Vorfahre von dir?«
Mia nickte lebhaft, ungläubig und ein wenig gereizt.
»Tante Azai scheint fest davon überzeugt zu sein.«
»Na ja«, meinte ich, »bei uns sagt man, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!«
»Du ahnst ja nicht«, rief Mia, »wie kompliziert das alles war! Kaum zu glauben, wie schwer sich die Leute das Leben machten.«
»Ich kann es mir ein wenig vorstellen.«
Sie schüttelte heftig den Kopf.
»Nein, das kannst du nicht! Warte, ich will versuchen, dir zu übersetzen, was sie schreibt. Nur einen Augenblick, ich muss mich erst wieder zurechtfinden.«
Sie sortierte eine Weile die Hefte, und ich räumte inzwischen den Tisch ab, goss grünen Tee auf, wobei mir bewusst wurde, wie sonderbar und erregend das alles war. Ich erlebte
hier Dinge, die ich nicht wirklich bis auf den Grund verstehen konnte. Nach Japan war ich mit sehr unklaren Erwartungen gekommen. Nun fühlte ich ein inneres Flattern. Mir kam in den Sinn, dass es womöglich nur der Traum eines Schauspielers war, den ich gezwungen mitträumte. Das Gefühl aber, dass alles nur theaterhaft sein konnte und so ablief, wie die Darsteller es vorher unter sich abgemacht hatten, fand ich bemerkenswert spannend. Wollten die Darsteller mich unter sich haben, würde ich meine Rolle glaubhaft spielen, so als gehe es um wirkliches Leben und nicht um ein Spiel.
22. Kapitel
D u musst Geduld mit mir haben«, sagte Mia. »Die alte Frau pflegt einen Schreibstil, der Generationen lang gelehrt wurde. Sogar mir fällt es schwer, ihn richtig zu entziffern. Abschnittsweise verstehe ich nur Bahnhof! Seitenlang ist hier von Nobunagas Schloss die Rede. Tante Azai schreibt, dass Jan Letzel irgendwann den Wunsch äuÃerte, die Ruinen zu besichtigen. Yoshiaki konnte seiner Praxis nicht fernbleiben, aber Chimako sagte, doch, sie würde ihn gerne nach Azuchi begleiten. Sie hatte persönliche Gründe, den Ort zu besuchen. Aber davon redete sie
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