Tod am Chiemsee (German Edition)
gehörte zu einer ziemlich wohlgeformten
Hand.
»Ein Ganglion. Harmlos, weil sich im Innern der Schwellung
überwiegend Hyaluronsäure befindet. Eine Überbeanspruchung. Schüler bekommen es
vom Schreiben, mir geht’s genauso.« Von Braun zog den Finger wieder zurück. »An
Gerlinde Disslers rechter Hand findet sich auch ein Ganglion. An der gleichen
Stelle des Fingergelenks. Was den Schluss nahelegt, sie war Rechtshänderin.«
Der Professor zog eines der Fotos heraus, drehte es und schob es Stefan
hinüber.
»Fragen Sie mich bitte nicht, was ich hier sehe«, sagte Stefan. »Ich
würde vermuten, es ist das Seil, das um Gerlinde Disslers Hals lag. Aber …« Er
schüttelte entschuldigend den Kopf.
»Ich bin am Tegernsee aufgewachsen und segle, seit ich acht Jahre
alt bin«, ließ ihn der Professor wissen.
»Der Knoten«, riet Stefan.
»Genau, der Knoten«, bestätigte Professor von Braun. »Nennt sich
Palstek. Ist keiner von den komplizierten, aber in der Regel benutzen ihn nur
Bootsleute. Der hier«, er deutete auf das Foto, »stammt aber nicht von einem
Rechtshänder.«
Zwischen ihnen hallte das Echo des Gesagten nach.
»Ich habe mir keinen Mord gewünscht«, bekannte Stefan.
»Nur ein wenig Ablenkung von dem Zeitungsartikel«, bemerkte von
Braun und schenkte seinem Gegenüber ein verständnisvolles Lächeln. »Das allein
hätte mir allerdings nicht genügt, um von einem Mord auszugehen«, sagte er. »Es
gibt etwas Eindeutigeres.«
Der Professor reichte Stefan ein anderes Foto. »Linksseitig am
Hinterkopf«, sagte er. »Von einem Schlag, keinem Sturz.«
Stefan hatte die Leiche gesehen, aber er hatte offenbar nicht genau
genug hingeschaut. Seine Augenbrauen hoben sich.
»Das herauszufinden ist unser Job, Herr Kommissar. Seien Sie nicht
so streng mit sich.« Von Braun konnte offenbar Gedanken lesen, oder zumindest
einen Gesichtsausdruck.
Er erkundigte sich, ob es denn schon erste Erkenntnisse im Fall der
Bankierstochter und des Jungen vom Chiemsee gebe. »Hatte heute schon das
Vergnügen, mit einer ehemaligen Richterin zu telefonieren. Offenbar hat sie die
Fraueninsel zu ihrem neuen Domizil erkoren. – Wir kennen uns zwar, aber sie ist
nicht mehr im Dienst. Bedeutet, es gibt keine Infos über den Fall.« Eine kurze
Pause. »Wenn ich Ihren Blick richtig deute, stimmen Sie mir zu.«
Stefan wollte sich nicht dazu hinreißen lassen, eine unangebrachte
Bemerkung zu machen. Es gelang ihm. Stattdessen zog er den Gefrierbeutel aus
seiner Hemdtasche. »Mein kompliziertes Beweisstück.«
Mit einer Geste forderte ihn der Professor auf, mehr darüber zu
erzählen. Was Stefan auch tat.
Vielleicht sehe der Professor ja eine Möglichkeit, wie er Tobias
Tümmler das Medaillon zurückgeben könne?
Nachdem Stefan mit seinem Bericht geendet hatte, wackelte von Braun
mit dem Kopf.
»Eine Zusage mit Folgen. Aber …« Er schien sich ernsthaft etwas zu
überlegen. »Wir machen es anders. Wenn Sie mir vertrauen, dass ich das noch
draufhabe«, er grinste schelmisch, »dann übernehme ich die Laborarbeit. Sie
bekommen die Ergebnisse, und darunter wird mein Name stehen. Ich kenne das
Bankhaus und ich kenne die Familie seit vielen, vielen Jahren.«
»Und wieder falsch getippt«, murmelte Stefan in sich hinein.
»Kommissar Sanders, diesmal hoffen wir, dass das Blut auf der Kette
von Theresa stammt. Niemand will ein Andenken von einem lieben Menschen
zurückerhalten, das an den Mord erinnert. – Tobias Tümmler heißt er? Gut, ich
werde mein Bestes tun. Er denkt vermutlich anders, wenn er sagt, er bewahre die
Kette für Theresa auf. Ich werde sie in dem Zustand belassen und nichts
verändern. Normalerweise bekommen wir alles, was uns interessiert.«
»Sie sehen mehr als ich«, sagte Stefan.
»Die Kette hat man dem Mädchen abgerissen, zwei der Glieder sind
verbogen und …« Von Braun deutete auf den Verschluss. »Denkbar, dass der Mörder
sein eigenes Blut darauf hinterlassen hat, als er sich ritzte. – Rufen Sie mich
in zwei Tagen an. Dann sollte ich Ihnen mehr sagen können. Und kommen Sie
wieder, um die Kette zu holen, ich will sie nicht mit der Post in der Gegend
herumschicken.«
»Ein unschlagbares Angebot.« Stefan bedankte sich für von Brauns
Zeit und die Mühe. »Bis in zwei Tagen.«
»Bescheid sagen, wenn Sie kommen, wir treffen uns dann in meinem
Büro. Sonst gehen Sie mir noch verloren.« Von Braun fragte, ob er den Rückweg
finden würde, und diesmal war Stefan sicher, den Gang und das dann folgende
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