Tod am Chiemsee (German Edition)
es nicht bald regnet, schwimmen die Fische schon
bald auf dem Trockenen – zusammen mit den Fischern und sämtlichen
verschwundenen Leichen. Der Wasserpegel des Chiemsees ist in den letzten Wochen
extrem zurückgegangen, es wird ein tägliches Minus von bis zu zwei Zentimetern
gemessen. Womöglich kommt da ja wieder etwas zum Vorschein. Warten wir’s ab und
schwitzen weiter«, so die neueste ausgelassene Meldung des Radiosenders.
»Bestimmt nicht, die Leichen sind sorgsam in den Kellern verwahrt«,
sagte Althea.
Der Chiemsee war nicht der Bodensee, es gab viel weniger Leichen –,
aber die Moderatoren der Morgensendung genossen jede noch so kleine negative
Meldung.
Und du hörst die Sendung auch, also beschwer dich nicht, sagte sie
sich.
»Weil die auch gute Musik bringen«, erklärte sie ihrem Mitbewohner.
Hin und wieder dachte sie, die kleine Gestalt am Kreuz würde lächeln – nur ein
bisschen –, doch das behielt sie für sich. Sonst brauchte sie den Umweg über
die Wüste gar nicht erst zu machen, man würde sie gleich in eine Anstalt
stecken.
»Wir können doch nicht immer nur den Kirchensender hören …«, und mit
diesem persönlichen Bekenntnis ging Althea in den Garten hinunter. Sie wollte
nach den Stockrosen schauen.
Ihnen war es auch zu heiß. »Haltet durch«, bat sie die prächtigen
violetten Blüten, die wie Pompons gefüllt waren. Sie liebten sonnige Standorte,
aber eine so brennende Sonne konnte ihnen nicht gefallen.
Althea gefiel auch so einiges nicht, und das hatte weniger mit den
Stockrosen zu tun als vielmehr mit Gregor Tümmler, ihrem Lieblingskünstler.
Als sie gestern Tobi wegen des Medaillons besucht hatte, musste sie
überrascht feststellen, dass sich eine Betreuerin um Tobias kümmerte. Und Tobi
hatte ihr freudig von Gregors Ausstellung berichtet. »Er ist an einem schönen,
bunten Ort, hat er gesagt. São Paulo. Ganz weit entfernt.« Er erklärte ihr,
Gregor werde erst in einer Woche wieder zurück sein. »Darum ist jemand da, der
schaut«, flüsterte Tobi und deutete vage hinter sich.
Althea hatte nicht weiter nachgefragt, das war auch nicht nötig. Ihr
war aufgefallen, dass Gregors Kunstwerke immer noch in dem ausgebauten Schuppen
standen. Hätte man sie nicht längst an diesen ganz weit entfernten Ort liefern
müssen?
»Wenn ich diese Ausstellung recherchiere, finde ich sie dann auch?«,
fragte Althea den Himmel über sich. São Paulo. Das war wirklich ganz weit
entfernt.
Hatte Gregor etwas mit den Morden zu tun? Etwas stimmte hier ganz
und gar nicht, womöglich aber noch viel mehr.
Zurück auf Frauenchiemsee … So hatte es Friederike Villbrock
formuliert, aber das galt nicht nur für sie beide. Althea war damals Schülerin
gewesen, genau wie Friederike. Jadwiga war Novizin, Gerlinde Dissler arbeitete
im Sekretariat und Gregor Tümmler kümmerte sich hin und wieder um den Garten
und den kleinen Friedhof. Außerdem waren da noch Theresa und Moritz und der
eifersüchtige Lukas.
Und am Tag nach den Morden hatte Tobias Tümmler Theresas
blutbesudelte Kette gefunden.
War es wirklich der Tag nach den Morden gewesen oder vielleicht noch
in derselben Nacht? Und was war dieses bittere Geheimnis, das Tobias so traurig
machte?
Althea hielt nachdenklich ihre Unterlippe zwischen den Zähnen fest,
und als sie jetzt jemand ansprach, biss sie sich erschrocken darauf. »Au«, rief
sie und fuhr herum.
Vor ihr, oder eigentlich hinter ihr, stand der ehemalige Herr über
die Chiemseewerft. Benedikt Lanz.
»Gott zum Gruße. Beißen die Fische nicht, brauchst du Beistand so
früh am Morgen? Dann werfe ich meine Angel aus und fang dir was«, bot Althea
an.
»Nichts auswerfen, was sich nicht wieder einholen lässt, Schwester«,
empfahl ihr Bene.
Bei ihm wusste sie einfach nicht, ob er einen Spaß machen wollte, ob
er es ernst meinte oder keins von beidem. Sie wusste nicht einmal, ob sie ihn
mochte. – Doch, sie mochte ihn, beschloss sie. Weil es schon genügte, dass er
für Friederike nichts übrighatte.
Der Zeitungsartikel und das Foto waren schuld.
»Ich mag mich nicht für alle Zukunft mit Zweideutigkeiten
herumschlagen«, sagte Althea schnaufend.
»Beleidigung war’s jedenfalls keine«, sagte Bene. »Aber heute mögen
mich die Fische wirklich nicht. Ich war grade in der Gegend und fand, wir
könnten mal die Gondelsache fix machen.«
Jetzt musste Althea lachen.
In der nächsten halben Stunde beratschlagten sie, was man anbieten
könnte und zu welchem Preis.
Althea erklärte
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