Tod am Laacher See
Sinn. Das konnte nicht sein. Ein Fisch im
Freiwasser würde auf den Druck reagieren, den er über die Schnur von der Rute
her verspürte. Bayer war irritiert. Umso mehr, je länger sich seine Beute nicht
bewegte.
Es muss doch ein Hänger sein, dachte Bayer schließlich und
schüttelte gleichzeitig den Kopf, weil das eigentlich nicht möglich war.
Schließlich änderte sich die Wassertiefe nie in einem solchen Maß, dass er
jetzt auf Grundnähe hätte reichen können. Oder vielleicht doch? Fünf Minuten
hielt Bayer die Rute in seinen Händen und versuchte, die unsichtbare Beute
näher ans Boot zu ziehen. Aber er hing fest. Allmählich festigte sich seine
Vermutung, dass er – aus welchen Gründen auch immer – einen Hänger hatte und
keinesfalls einen Fisch. Denn so stoisch ruhig auf einer Stelle zu liegen, das
würde er höchstens einem kapitalen Wels zutrauen. Aber die gab es nicht im
Laacher See.
Bayers Geduld erschöpfte sich, und er beschloss, den Hänger
abzureißen. Es fiel ihm nicht leicht, seine geflochtene Schnur in die
behandschuhten Hände zu nehmen und zu ziehen. In der Hoffnung, dass sich der
oder die Haken lösten von dem, was sie bisher gehalten hatten. Da die Schnüre
eine sehr hohe Tragkraft von vierundzwanzig Kilogramm hatten, war das
Wahrscheinlichste, dass sich ein Haken aufbog oder abbrach. Das würde den
geringsten Materialverlust bringen. Besser so, als dass der gesamte Wobbler an
der Verbindungsstelle zum Stahlvorfach abriss oder gar die Schnur vorn an der
Stelle des vordersten Knotens. Knoten waren immer die schwächste Stelle in
einer Kombination aus mehreren Angelelementen.
Bayer zog immer wieder und erhöhte allmählich die Zugkraft. Der
Widerstand schien nicht starr zu sein. Ein kleines Stück weit folgte das Objekt
seinem Zug, dann verharrte es auf der Stelle.
Plötzlich löste sich die Verbindung, Bayer kurbelte die Schnur auf
die Rolle und starrte ins Wasser, um zu erkennen, ob noch etwas dranhing am
Ende der Schnur. Der immer noch spürbare leichte Widerstand ließ ihn vermuten,
dass er seinen Wobbler hatte retten können.
Erleichtert sah er, wie sein künstlicher Fisch zum Boot
zurückkehrte. Er hob ihn aus dem Wasser und schaute verwundert auf das
»Souvenir«, das er mitgebracht hatte. Denn zwei der drei Drillingshaken hatten
sich offenbar in etwas verhakt, was wie ein Stück Stoff aussah.
Bayer nahm den Wobbler in seine Hände und besah seine magere Beute,
die, nun war es klar erkennbar, aus einem größeren Fetzen Stoff bestand. Ein
dunkelgrüner Textilfetzen, der eine hohe Reißfestigkeit haben musste, obwohl er
eine unbekannte Zeit im Wasser verbracht hatte. Was sicher zu einer Schwächung
der Fasern hätte führen müssen. Und doch hatte dieser Stoff einer Menge Druck
Widerstand geleistet, bis er doch noch zerrissen war.
Bayer wendete den Stofffetzen und sah einen Teil eines Emblems, das
ihm nur allzu bekannt vorkam: den stilisierten Abdruck einer Wolfspfote. Obwohl
unvollständig, war es für Bayer doch klar und deutlich erkennbar: Dieser Fetzen
musste Bestandteil einer Jack-Wolfskin-Jacke gewesen sein. Das war die
plausibelste Erklärung für seinen Fund. Aber was hatte dieses Stück Stoff in
die Tiefe des Laacher Sees gebracht? Je mehr Bayer darüber nachdachte, umso
mehr komplettierte seine Phantasie dieses eine Bruchstück zu einem gesamten
Ereignis. Er hatte dieses Stück Stoff anscheinend eben erst aus einer Jacke
herausgerissen. Und diese Jacke hatte keinesfalls frei im Wasser geschwebt,
sondern eine feste Position gehabt, die sie nicht hatte aufgeben wollen. Auch
auf seinen starken Zug hin nicht. Was aber hielt eine Jacke unter Wasser derart
fest auf Position?
Plötzlich schauderte es Bayer, weil er den Gedanken zu Ende gedacht
hatte: Jemand hatte diese Jacke getragen. Deshalb war sie nicht komplett dem
Haken bis zum Boot gefolgt. Und üblicherweise trugen Menschen solche Jacken.
Deshalb war eine der wahrscheinlichsten Erklärungen, dass dort unten in der
Tiefe ein Mensch war. Aber kein Taucher. Nur ein normaler, den herbstlichen
Temperaturen angepasster Mensch trug um diese Jahreszeit eine solche Jacke.
Dieser Mensch musste tot sein.
Die Theorie wurde Bayer zunehmend zur Gewissheit. Er nahm sein Handy
aus der Brusttasche und wählte die 112.
***
Als Regine Nau kurz anklopfte und schon im selben Augenblick in
Wärmlands Zimmer stürzte, fuhr dieser erschrocken zusammen und verschüttete
einen Teil des Kaffees, den er soeben hatte trinken wollen.
»Sie
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