Tod am Laacher See
und gefasste Reaktion.
»Sie haben sicher damit gerechnet, dass eine alte, gebrechliche Dame
wie ich auf derlei Informationen ganz entsetzt oder verzweifelt reagieren
würde. Aber ich bin Jahrgang 1918. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war ich
einundzwanzig Jahre alt. Mein erster Mann und ich hatten 1939 geheiratet, und
dann war er auch schon fort an der Ostfront. Ein Jahr später ist er gefallen.
Drei Jahre darauf habe ich ein zweites Mal geheiratet. Und auch dieser Mann ist
gefallen, im Winter 1944/45 in den Ardennen. Wir hatten eine kleine Tochter,
die 1944 zur Welt kam. Als sie drei Jahre alt war, ist sie an einer
Lungenentzündung gestorben. Damals hatten wir noch kein Penicillin zur Hand.«
Sie machte eine Pause, und es schien Wärmland, als sei ihr Blick in weite Ferne
gerichtet. Dann schaute sie Wärmland an.
»Sie sehen, ich habe die drei wichtigsten Menschen in meinem Leben
gewaltsam und viel zu früh verloren. Schon die Eltern meines Vaters gingen 1914
bei einem Sturm auf dem schwedischen Vätternsee mit einem Schiff unter.
Zusammen mit einem berühmten schwedischen Maler, John Bauer. Mein Vater starb
1929 bei einem Hotelbrand in Paris. Der gewaltsame und grausame Tod ist immer
ein Bestandteil meines Lebens gewesen. Und das grausame Schicksal meiner
Großnichte kam nicht so überraschend für mich, wie Sie vielleicht vermutet
haben.«
»Das tut mir sehr leid«, meinte Wärmland, als könnte er etwas
ausbessern an der Situation. »Können Sie mir vielleicht etwas zur familiären
Situation der Familie Eicksen sagen? Ich habe in Eckernförde einen alten
Marinekameraden von Georg Eicksen gesprochen. Er hat erwähnt, dass Frau Eicksen
es mit der ehelichen Treue nicht so genau nahm.«
Frau Mühlhaupt seufzte beinahe unmerklich, als müsste sie noch
einmal eine Last aufnehmen, die sie längst abgelegt hatte. Dann schaute sie
beinahe erschrocken auf. »Entschuldigen Sie bitte, ich habe Ihnen noch gar
nichts angeboten. Ich bin eine schlechte Gastgeberin.«
Wärmland versicherte ihr, dass alles in Ordnung sei und er nichts
benötige. Sie bestand trotzdem darauf, ihm zumindest ein Glas Mineralwasser zu
servieren.
»Was Sie da eben angesprochen haben, das hat einen sehr traurigen
Grund. Katharina Eicksen war ein trauriges Mädchen und eine sehr bedrückte
junge Frau. Denn sie hatte leider eine sehr missgünstige und eifersüchtige
Mutter. Eine schlimme Sache, wenn die eigene Mutter in ihrer Tochter
hauptsächlich eine Konkurrentin sieht. In diesem Fall führte es dazu, dass
Magdalena ihrer Tochter über Jahre hinweg immer nur suggerierte, dass sie
hässlich sei und dass kein Mann sie jemals begehren würde. Sie selbst war früh
von ihrem Mann verlassen worden und hatte das nie verarbeitet. Sie fühlte sich
um ihre Jugend beraubt und betrachtete ihre Tochter als Last und Hindernis auf
dem Weg zu einer neuen Verbindung. Sie hat ihrer kleinen Tochter die Jugend
geneidet. Ihre ganze Frustration hat sie auf das arme Mädchen abgewälzt. Bis Katharina
ihre Mutter verließ, hatte sich ihr Unterbewusstsein diesen Zweifel an ihr
selbst längst zu eigen gemacht.«
Wärmland nickte. »Ich verstehe, was Sie meinen.«
»Das arme Kind hat immer und immer wieder nach Bestätigung verlangt.
Sie brauchte das Gefühl, begehrt zu werden. Sie suchte das Erlebnis, das ihre
Mutter Lügen strafen sollte. Zwar hat sie Georg Eicksen geheiratet und dadurch
die konventionelle Bestätigung für ihre Existenzfähigkeit in einer Ehe
gefunden. Aber ihre innere Qual war damit nicht beendet. Sie musste immer und
immer wieder aufs Neue Anerkennung finden und begehrenswert für Männer sein.
Der eigene Mann konnte diesen Durst nicht ausreichend stillen.«
»Und Eicksen hat das mitgemacht?«, wollte Wärmland wissen.
»Die ersten sieben Jahre ihrer Verbindung hat er es nicht bemerkt
und nicht gewusst. Dann hat er es erfahren, aber aus Liebe zu Katharina alles
ertragen. Er liebte sie über alles, obwohl es ihm fast das Herz zerrissen hat.
Aber solche Verbindungen gibt es. Ich selbst habe ihm damals erklärt, warum sie
keine Wahl hatte und woher ihre Untreue kam. Beide haben sich mir anvertraut.
Ich wusste um seine Qual und um seine Liebe.«
»Hat er es jemals offen ausgesprochen?«
»Niemals. Er hat es still ertragen. Auch wenn er wusste, wer die
Männer waren. Alles Marineangehörige, die an Land Dienst taten, oder
Zivilisten. Die meisten seiner engeren Kameraden auf See haben ihrem Werben
standgehalten. Aber einige andere nicht. Doch auch
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