Tod am Nil
warten, bis Osiris ihn ruft.« Merymose verstummte und schwieg lange, ehe er weitersprach. »Ich weiß nicht, warum, aber mein Ka entschied, daß ich weiterleben sollte. Von der Strömung getragen, schwamm ich an der Küste entlang. Als ich ans Ufer kam, stahl ich mir ein kleines Fischerboot und segelte damit bis zum Delta. Ich schloß mich den Medjay im Süden an und diente in Napata, bevor ich hier stationiert wurde.«
Huy überlegte, was er antworten sollte, aber ihm fiel nichts ein. Was er schließlich sagte, klang hilflos. »Du mußt uns hassen.«
»Ich hasse niemanden. Man kann nicht hassen, wenn man innerlich gestorben ist.«
Als Merymose gegangen war, verschloß Huy sein Haus und ging zur Stadt der Träume.
»Schläfst du eigentlich nie?« fragte er Nubenehem, die wie festgewachsen auf ihrer Couch saß. Auf dem Tisch neben ihr stand ein Krug mit dickem gelben Palmwein.
»Nicht, wenn es etwas zu verdienen gibt«, sagte sie grinsend und mit schwerer Zunge. »Was willst du?«
»Du hast von einem Mädchen gesprochen -mein Typ, hast du gesagt.«
»Die kleine Nefi? Da hast du Pech. Die ist nicht wiedergekommen.«
»Hast du ihr denn Arbeit gegeben?«
»Sie war eifrig, aber ohne Erfahrung. Offen gesagt, ich wollte sie dir geben, damit du sie zureitest.« Sie bot Huy den Krug an, aber er winkte ab.
»Sag mir, wie sie aussah.«
»Hab’ ich schon. Jung. Unschuldig. Pausbäckig wie ein Baby. Rundlicher junger Körper. Sehr bereitwillig, ihn zu zeigen, war sie. Ich hätte nichts dagegen gehabt, sie mir selbst vorzunehmen.«
»Und - hast du?«
Nubenehems Gesichtsausdruck war jetzt nicht mehr so freundlich. »Nein. Heutzutage halte ich mich an weniger anstrengende Freuden.« Sie zeigte auf ihren Wein. »Wieso?«
»Aus keinem besonderen Grund.«
»Da würdest du gern einmal zusehen, was? Wenn Frauen es miteinander treiben?«
»Nein.« Huy schwieg einen Moment. »Ich werde dir jetzt ein Mädchen beschreiben. So genau, wie ich kann. Und du sagst mir, ob es das Mädchen ist, das ich verpaßt habe.«
Huy versuchte, sich an möglichst viele Einzelheiten zu erinnern und Iritnofrets Gestalt vor seinen Augen wieder zum Leben zu erwecken.
»Das ist sie«, sagte Nubenehem. »Dann hast du sie doch noch gefunden. Was hat sie denn getrieben? In den Docks gearbeitet?«
Ein bösartiger Dämon wütete in seinem Kopf. Er hatte sein Querbeil in die Fontanelle gegraben und stemmte das Ding nun methodisch vorwärts und rückwärts, um seinen Schädel auszuspalten. Unterdessen waren in seinem Gehirn zwei Steinmetze dabei, sich mit Klauenmeißeln durch seine Augen einen Weg ins Freie zu hämmern. Er wollte sich aufsetzen, aber schon die vorsichtigste Bewegung stürzte seine Peiniger in manische Aktivität, und sein Magen schleuderte ihm schmierige Galle in den Mund. Da war noch ein anderer Geschmack. Feigen.
Unter Qualen richtete er sich auf, bis der leere Feigenschnapskrug in sein Blickfeld kam. Der schwindelerregende Höhenflug, auf den der Krug ihn am Abend geschickt hatte und unter dessen Einfluß er Merymoses Geschichte vergessen, die Morde aufgeklärt und Taheb in seiner Phantasie triumphierend verführt hatte, war einem kläglichen, winselnden Flehen an den Gott der Katerkranken gewichen: Er möge ihm doch helfen, so bald wie möglich auf die Beine zu kommen und wieder Herr seiner selbst zu sein. Er war nur froh, daß heute der elfte Tag war, der Ruhetag. So hatte seine Ausschweifung ihn nicht die Stellung gekostet.
Nachdem es ihm gelungen war, sich fünf Minuten lang aufrecht zu halten, ohne sich übergeben zu müssen, begann er, in seinem Herzen Ordnung zu schaffen. Zunächst wollte ihm nichts einfallen als die strengen Warnungen vor dem Trinken, die er als Schüler zur Übung hatte abschreiben müssen: Ich höre, du gehst von Straße zu Straße, wo alles zu den Göttern des Trunkes stinkt. Der Trunk wird bewirken, daß die Menschen sich abwenden von dir, und er wird deine Seele in die Hölle schicken. Du wirst sein wie ein Schiff mit gebrochenem Ruder, wie ein Tempel ohne seinen Gott, wie ein Haus ohne Brot...
Wer immer das geschrieben hatte, war nie von peinigenden Erinnerungen gequält worden, dachte Huy, hatte nie Wahrheiten gegenübergestanden, die so schrecklich waren, daß man ihnen nicht ins Auge sehen konnte. Andererseits, wenn der Rausch verflog, waren die Erinnerungen und Wahrheiten immer noch da; sie waren nicht verschwunden, und der einzige Unterschied bestand darin, daß man jetzt noch schlechter
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