Tod am Nil
als vorher gerüstet war, sich ihnen zu stellen. Das war es vermutlich, was die Menschen dazu brachte, weiterzutrinken. Ein ständiger Rückzug: Man schläferte seine Sinne ein, statt die Ursache seiner Not zu erkennen und sie zu vernichten. Ob Merymose je viel trank? Huy bezweifelte es.
In seinem Kopf hallte der Schmerz, und sein Magen überschlug sich, als er aufstand; schwankend griff er nach der Stuhllehne, um sich zu stützen. Dann gönnte er sich eine Minute Ruhe, bevor er die Tausend-Tage-Reise bis zum Badezimmer in Angriff nahm. Er zwang sich, regelmäßig zu atmen, und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen.
Nachher, als er gebadet und zwar nichts gegessen, aber wenigstens einen heißen Kräutertee getrunken hatte, war ihm, als werde er vielleicht doch überleben. Er kaute ein paar Korianderkörner, um seinen Atem zu versüßen, und fühlte sich dann bereit, der Welt entgegenzutreten. Er hatte beschlossen, seinen neuesten, saubersten Kilt und Ledersandalen anzulegen, dazu den einen Kopfputz, der ihm aus besseren Tagen noch geblieben war. Er wollte versuchen, Zugang zum Palast oder sogar zu den Häusern Ipukys und Renis zu bekommen. Er hatte wenig Hoffnung, daß es Merymose gelingen würde, Kenamun zu überreden, ihn zu engagieren, aber es konnte ja nichts schaden, sich mit dem Gelände vertraut zu machen.
Ein Klopfen an der Tür störte ihn beim Ankleiden; als er öffnete, stand ein Mann vor ihm, den er kannte, einer von Tahebs Leibdienern, ein Assyrer, der, obwohl er schon seit Jahren im Schwarzen Land lebte, immer noch einen langen, eingeölten Lockenbart trug. Mit der Rechten berührte der Mann Stirn, Lippen und Brust und überreichte Huy dann wortlos eine Nachricht von Taheb, die ihn bat, sofort zu ihr zu kommen.
»Weißt du, worum es geht?« fragte er den Assyrer.
»Nein. Aber ich glaube, es ist dringend. Sie wartet auf dich und hat dir ihre Sänfte geschickt.«
Als er ihr Haus erreichte, waren die letzten Spuren der Peiniger in seinem Kopf verschwunden. Er kletterte aus der Sänfte. Der Assyrer führte ihn nicht in den kleinen Innenhof, sondern durch das Haus in ein Zimmer im oberen Stockwerk, dessen hohe Fenster nach Norden hinausgingen, um den Wind einzufangen. Das
Zimmer war in so grellem Weiß gestrichen, daß es fast blau erschien, und es war kühl und beruhigend hier. Huy sah einen Weinkrug und Becher auf einem Tisch aus weißem, poliertem Holz mit Einlegearbeiten aus Flußpferdeelfenbein und Gold. Zur Westseite hin führte eine Tür auf einen breiten Balkon, der von einem von schlanken Lotussäulen getragenen Vordach überschattet war. Von hier aus blickte man über die Stadt hinweg bis zu dem breiten, grauen Fluß, der um diese Jahreszeit träge und flach dahinströmte. Auch das verschachtelte Hafenviertel war zu erkennen, dessen Dächer sich so dicht zusammendrängten, daß sie im Hitzedunst zu einem Ganzen verschmolzen. Dahinter, weiter nach Süden, erstreckten sich die größeren Dächer der Palastanlagen; die Gebäude dort waren, wie Huy wußte, durch breite, schattige, mit poliertem Kalkstein gepflasterte Boulevards voneinander getrennt, die regelmäßig mit Wasser besprengt wurden, damit sie für die Füße der Reichen nicht zu heiß wurden.
Sie ließ ihn nicht zu lange warten. Nüchtern gekleidet in eine langärmelige, knöchellange Tunika, die ihr, weit geschnitten, bis zum Hals reichte, kam sie ihm entgegen, beide Hände zum Gruß ausgestreckt.
»Ich bin froh, daß du gekommen bist. Halte ich dich von irgend etwas ab?«
»Der Assyrer hat gesagt, du müßtest mich dringend sehen.«
»Das trug ich ihm auf, weil ich fürchtete, du kämst sonst vielleicht nicht. Du riechst nach Koriander. Du hast wohl gestern abend viel getrunken?«
»Ja. Merymose hat mich besucht. Er erzählte mir von seiner Vergangenheit.«
Taheb machte ein nachdenkliches Gesicht. »Eine traurige Geschichte. Aber war es der einzige Grund für seinen Besuch?«
»Nein. Er hatte noch einen anderen.«
»Willst du mir davon erzählen?«
»Nein. Jetzt nicht. Verzeih mir. Es ist nichts Wichtiges und hat übrigens auch nichts mit Aset zu tun.«
Sie lächelte ein wenig betrübt. »Dann will ich nicht weiter neugierig sein. Obwohl es mir schwer fällt.«
»Er will meine Hilfe. Er hat einen neuen Vorgesetzten, einen Priester namens Kenamun.«
»Ah ja. Der Gestrenge.«
»Er hat nie versucht, sich beliebt zu machen.«
Taheb sah ihn überrascht an. »Aber natürlich hat er das - bei Frauen.«
»Und - mit
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