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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Gill
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wieder vergaß. Das rabenschwarze Haar war so makellos geschnitten, daß es wie ein Helm wirkte. Dem Einbalsamierer stand eine belustigte und leicht unheimliche Gleichgültigkeit im Gesicht, die Huy merkwürdigerweise an den jungen König erinnerte. Bei Tutenchamun konnte man sich vorstellen, wie er einen Mann im Augenblick der Hinrichtung begnadigte oder, ohne mit der Wimper zu zucken, den Tod Tausender befahl.
    »Ich möchte die zweite sehen - Neferuchebit«, sagte Huy ungeduldig. Dem Schneckentempo, das man ihm aufzwang, würde er sich nicht länger beugen, und wenn er dabei jemand auf die Füße trat, so konnte er es nicht ändern. Merymose würde vielleicht Arger mit Kenamun bekommen, aber wenn der Wahnsinnstäter rasch festgenagelt werden sollte, dann mußte auch der wunderliche Beamte von seinen gewohnten trägen Bahnen abweichen.
    Der Einbalsamierer schniefte geziert. »Das ist unmöglich. Wie du siehst.«
    Hohe Bretterwände eines tiefen Trogs umgaben den Leichnam auf dem zweiten Tisch. Man hatte Natronsalz hineingeschüttet und den Leichnam damit völlig bedeckt.
    »Wie lange dauert das denn?« fragte Huy unwirsch.
    »Das kommt auf das Wetter an, auf die Jahreszeit, auf die Größe des Leichnams. In diesem Fall nicht mehr als dreißig Tage - höchstens vierzig.«
    »Und wie lange liegt sie schon drin?«
    Der Einbalsamierer sah auf das beschriebene Kalksteintäfelchen an der Seite des Trogs. Er schnalzte mit der Zunge.
    »Kannst du die Leiche nicht freilegen, nur für einen Moment?« beharrte Huy. »Es ist wichtig, daß ich sie sehe.«
    »Ich sagte schon, das ist unmöglich. So etwas hat noch niemand je verlangt. Es ist unerhört.« Der Einbalsamierer war jetzt wirklich verärgert.
    Huy zwang sich, geduldig zu bleiben. »Ich bin ja nicht irgendein X-beliebiger, der hier hereinkommt, um dir das Leben schwer zu machen. Du weißt doch, daß ich nur hier bin, weil ich besondere Vollmacht dazu habe?«
    »Ja.«
    »Diese Vollmacht habe ich bekommen, damit ich denjenigen finden kann, der diese Mädchen ermordet hat.«
    »Ja?« Dem Einbalsamierer schien unbehaglich zu werden; er wischte sich mit einem Tuch über den Hals.
    Huy hatte immer lauter gesprochen, und die Gehilfen schauten mit bemüht unbeteiligter Miene zu ihnen herüber. Der Meister selbst beäugte ihn inzwischen sehr mißtrauisch. Dieser stämmige kleine Mann, dessen gebildete Aussprache seine Flußschifferstatur Lügen strafte, sah aus, als schrecke er vor nichts zurück. Der Einbalsamierer vergewisserte sich, daß das schmale Regal, auf dem Säuberlich geordnet mehrere Messer lagen, nicht allzu weit entfernt war.
    »Dann weißt du, daß du dich nicht nur mir in den Weg stellst, wenn du mich den Leichnam nicht sehen läßt.«
    »Aber wenn man den Vorgang unterbricht...«
    »Nur für einen Augenblick?«
    »Das ist noch nicht vorgekommen. Ich weiß nicht, wie es sich auswirkt. Ich brauche die Erlaubnis der Eltern.«
    »Die hast du«, log Huy entschlossen.
    »Schriftlich?«
    Huy knurrte und tat einen Schritt vorwärts. »Du zweifelst an meinem Wort? Ich bin ein Beauftragter des Hofes.«
    Immer noch voller Zweifel, machte der Einbalsamierer seinen Gehilfen ein Zeichen, ihre Arbeit zu unterbrechen. Vermutlich dachte er sich, daß es sich heutzutage nicht lohnte, es sich mit den Behörden zu verderben. Es konnte immerhin sein, daß man es mit Agenten Haremhebs zu tun hatte, und dann landete man in den Smaragdbergwerken an der Ostküste. Zu dritt nahmen sie also die Bretter ab, die den Trog bildeten, und das Natron rieselte in einem Strom weißen Pulvers zu Boden. Huy sah den ausgetrockneten Leichnam einer Spitzmaus, die hineingefallen sein mußte, als man das Salz über Neferuchebit geschüttet hatte.
    Wie eine Skulptur tauchte Neferuchebit aus den weißen Massen auf - die erste Frau, aus Stein geboren. Umständlich pinselte der Einbalsamierer die Salzreste von der Leiche. Die letzten Schichten waren feucht und verströmten einen süßen, leicht muffigen Geruch. Huy war überrascht, daß er nicht unangenehmer war.
    »Schnell«, sagte der Einbalsamierer.
    Huy sah sie an und beugte sich vor, um ihr das letzte Bißchen Natron vom Gesicht zu streichen. Das Gesicht, dem schon einige Flüssigkeit entzogen war, hatte sich bereits leicht verändert. Aber da Huy noch wußte, wie Iritnofrets im Hofe des Heilens aufgebahrte Leiche ausgesehen hatte, begriff er auch, wie die beiden Mädchen hatten verwechselt werden können. Sie sahen sich ähnlich wie Zwillinge. Und die

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