Tod am Zollhaus
zurück.
«Neuigkeiten aus Lissabon?», fragte Joachim.
Claes rührte langsam mit dem kleinen silbernen Löffel in seiner Kaffeetasse.
«Nein, nichts Neues. Aber die
Clementine
muss bald einlaufen, die bringt sicher auch einen Brief von Martin.»
«Mit dem hast du einen guten Griff getan. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht.»
Martin, der jüngere Sohn eines Zuckerbäckers, war vor acht Jahren in Claes’ Kontor erschienen und hatte den Kaufmann gebeten, ihn als Laufjungen einzustellen. Claes hatte schon einen, der seine Post zwischen Kontor, Börse und Hafen hin- und herbrachte. Aber der Junge mit der geraden Nase und den klaren grauen Augen hatte ihn beeindruckt.
Martin war damals noch keine sechzehn gewesen, aber er hatte sich vor den mächtigen Kaufmann gestellt wie einer, der was zu bieten hat. Die kleinen Rinnsale von Schweiß, die dem Jungen dabei den Rücken hinuntergelaufen waren, hatte Claes nicht bemerkt, doch sie hätten ihn auch nicht gestört. Er glaubte nicht daran, dass Menschen, die weder Angst noch Zweifel kannten, die Tüchtigeren waren. Er hatte recht gehabt. Martin wurde schnell zu einem klugen, aber doch wagemutigen Kaufmannsgehilfen. Vor drei Jahren hatte er ihn dann nach Lissabon geschickt. Es war kein großes Risiko gewesen, denn die Portugal-Geschäfte lagen schon lange brach. Lissabon war einer der Haupthäfen für die Waren aus den überseeischen Kolonien in Nordamerika, Brasilien und den Inseln im Karibischen Meer: Kaffee, Zucker, Tabak, Baumwolle oder Farbhölzer, aber auch Waltran, Gold und Diamanten. Die Geschäfte in Lissabon wurden jedoch von den Engländern regiert. Es war deshalb billiger, direkt in London, Plymouth oder Bristol zu kaufen.
Claes hatte das alte Kontor am Tejo aus reiner Sentimentalität noch nicht geschlossen, auch wenn er eine so unpassende Regung niemals zugegeben hätte. Etwa zehn Jahre war es her, dass das große Erdbeben halb Lissabon zerstörte. Die Katastrophe am Allerheiligentag des Jahres 1755 hatte Zehntausende das Leben gekostet, und das Entsetzen darüber hatte ganz Europa erschüttert. Dass inmitten der Verwüstung das Herrmanns’sche Haus nahezu unversehrt geblieben war, schien wie ein Wunder. Und wie ein Zeichen, die Beziehungen zu Portugal nicht abreißen zu lassen.
Martin hatte sich bewährt. Der Handel mit Lissabon war inzwischen zu einem wichtigen Pfeiler in Claes’ weiterverzweigten Geschäften geworden.
Sophie würde einen tüchtigen Mann bekommen, auch wenn er weder Vermögen noch eine alte hanseatische Familie vorzuweisen hatte.
«Bonjour, Messieurs, es ist doch erlaubt?» Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sich der alte Herr, der schwer auf den Arm seines Dieners gestützt herangeschlurft war, auf den Sessel neben Claes fallen. «Es ist gut, Moses, hol mir eine Schokolade, und dann lass mich in Ruhe. Ich bin nur alt, kein Kind.»
Widerwillig drehte sich der Diener, kaum jünger und rüstiger als sein Herr, um und folgte dem Befehl.
«Monsieur Telemann, wie schön, Euch wieder einmal im Kaffeehaus zu sehen», sagte Claes. «Es geht Euch also besser?»
«Ging es mir schlecht? Nur weil meine Beine lahm und meine Augen müde sind, bin ich doch noch nicht tot. So schnell werdet ihr mich nicht los», er kicherte boshaft, «ihr müsst schon noch ein wenig dankbar sein.»
«Das sind wir gerne. Wer hat uns je schönere Musik geschenkt als Ihr?»
«Keine Komplimente, lieber Freund.» Der alte Kantor und städtische Musikdirektor sah sich steif und ungeduldig nach seiner Schokolade um. «Oder doch, mach mir Komplimente. Sie wärmen mein Herz. Es wird doch schon ein wenig kalt», fügte er mit einem düsteren Seufzer hinzu.
«Ein Herz, das Oratorien wie den ‹Messias› schafft, kann kaum kalt werden. Und die neue Kantate …»
«Du hast die Opern vergessen. Es ist ein Kreuz mit euch Bürgern, immer vergesst ihr die Opern.» Telemann schob einen spitzen Zeigefinger unter seine alte, etwas zerzauste Perücke und kratzte sich über der Schläfe.
«Deine Tante hat mir erzählt, dass am Gänsemarkt, wo gerade das Opernhaus abgerissen wird, ein Theater entstehen soll?»
Claes hob bedauernd die Hände. Er hatte auch davon gehört. Ganz Hamburg sprach ja davon, aber er interessierte sich nicht für das Theater. Nach Behrmanns Tod weniger denn je.
«Das ist wahr», sagte Joachim van Stetten. «Ein festes Theater für die Schauspiele, so wie eines auch in Leipzig geplant ist. Im Sommer soll es fertig sein.»
Joachim freute sich
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