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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gewonnen hatte. Niemand verstand besser als Augusta, dass die Arbeit mit Nadel und Faden für Sophie eine Folter bedeutete. Sie war einfach zu ungeduldig für die mühselige Stichelei.
    «Ich fürchte, du hast doch zu viel von mir geerbt. Deine Mutter war eine Meisterin mit der Nadel.» Augusta blickte ihre Großnichte nachsichtig an. «Aber Martin wird es tatsächlich egal sein, wer seine Monogramme stickt. Ruf deine grämliche Zofe, sie soll nach Madame Florentine schicken. Lass doch, Kind, du bringst mich ja um.» Lachend rettete sie ihre Haube vor Sophies stürmischer Umarmung.
    Wie der Wind war das Mädchen aus dem Zimmer und machte sich auf die Suche nach Bärbel, der Hausmagd, die Tante Augusta gerne spöttisch «die Zofe» nannte.
    Augusta griff wieder nach der Zeitung. Aber sie hatte nun keinen Sinn mehr für Professor Bodmers gelehrten Aufsatz über die vorzügliche Dichtung des jungen Poeten Klopstock.
    Sie konnte sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, dass Sophie bald eine verheiratete Frau sein würde. Trotz ihrer achtzehn Jahre erschien das Mädchen ihr noch so jung und ungebärdig. Dabei war sie selbst erst sechzehn gewesen, als sie Thorben Kjellerup heiratete. Sophie hatte sich getäuscht. Augusta hatte brav die unzähligen Stiche ausgeführt, die aus Leinentüchern standesgemäße Wäsche machen. Lächelnd faltete sie das Tuch zusammen und legte es in die Truhe, die geöffnet neben dem Tisch stand. Sie war eine schrecklich brave junge Frau gewesen. Und vielleicht wäre sie das auch geblieben, wenn sie nicht so früh Witwe geworden wäre. Sie freute sich, dass Sophie ihren eigenen Kopf hatte, auch wenn es ihr das Leben nicht immer leichter machen würde.
    Augusta war von ihren Eltern nicht gefragt worden, ob sie den dänischen Kaufmann heiraten und mit ihm in Kopenhagen leben wolle. Aber sie hatte Glück gehabt. Aus dieser Verbindung, die den Geschäften der beiden Familien diente, war eine Liebesehe geworden.
    Manchmal, wenn sie tief in der Nacht aufwachte und sich auf die Bank am Fenster setzte, um über das breite Fleet bis St. Katharinen zu sehen, sorgte sie sich, ob Claes richtig entschieden hatte, als er Sophies Verliebtheit nachgab. Denn daran, dass diese Ehe Sophies Wunsch gewesen war, bestand kein Zweifel. Martins Respekt vor dem Reichtum und der Honorigkeit der alten Patrizierfamilie Herrmanns war viel zu groß, als dass er, ein Mann ohne Familie und Vermögen, es gewagt hätte, um die Hand der einzigen Tochter anzuhalten. Zumindest war er kein Leichtfuß, sondern ein ernsthafter junger Kaufmann mit einem klugen Kopf. Und vielleicht hatte er dort unten im Süden ein wenig von seiner Steifheit verloren. Sophie brauchte einen Mann mit viel Humor, einen großzügigen Geist und keinen Pedanten, der auf die richtige Linie im Monogramm achtete.
    Sie war noch ein Kind gewesen, als ihr Vater Martin nach Lissabon geschickt hatte. In ihrer Erinnerung war er zu einem romantischen Helden geworden, der die Welt kannte und ihr ein abenteuerliches Leben bot. Augusta war da nicht so sicher. Aber ihre Bedenken hatten Sophies glühende Seele nicht einmal erreicht. Augusta liebte Sophie wie die Enkeltochter, die sie selbst nie gehabt hatte. Von ihren vier Kindern waren drei schon früh an Scharlach gestorben. Den Jüngsten, Sven, hatte die See schon in seinem fünfzehnten Jahr auf seiner ersten Fahrt geholt. Nur zwei Jahre später war auch Thorben von einer Reise nach Santander nicht zurückgekehrt. Auf dem Grund der Biskaya lagen viele Schiffe, die ihre Toten festhielten.
    In den ersten Jahren nach seinem Tode glaubte sie oft, ihren Sohn zu sehen. Er ging über den Markt von Kopenhagen oder ruderte in einem kleinen Boot nach Christianshavn hinüber. Ein anderes Mal, als sie nach Bad Pyrmont fuhr, ritt er, in einen schwarzen Mantel gehüllt, an ihrer Kutsche vorbei. Aber es waren immer andere Jungen gewesen, die nur wie Sven ungebärdiges rotblondes Haar hatten und den hageren Körper eines Knaben, der bald ein Mann sein würde.
    Seltsamerweise hatte sie niemals geglaubt, Thorben zu sehen.
    «Störe ich dich, Augusta?»
    Claes Herrmanns trat in den Salon und beugte sich über die Hand seiner Tante.
    «Nein, Claes, natürlich nicht.» Sie sah ihren Neffen prüfend an. «Du siehst wohl aus heute.»
    «Das macht die Frühlingssonne.» Er setzte sich auf die Bank und lehnte seinen Stock gegen die Lehne. «Ich brauche deinen Rat, Augusta. Gestern kam ein Brief von Martin», er reichte ihr den Bogen, «lies ihn

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