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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gefangen hat. «Er fand den jungen Herrn Reichenbach aus Sachsen sehr interessant. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig davonmachen, sonst hätte er mich in sein Haus eingeladen. Und dem zu folgen erschien mir doch zu kühn.»
    «Du wirst am Galgen enden», sagte Helena, aber ihr Zorn war verflogen. Mit Zaudern und Bravsein würden sie den Beweis für Jeans Unschuld niemals finden.
    «Und die verschwundenen Goldstücke? Wenn Jean den Schreiber tatsächlich wegen der Münzen erstochen hat, hätte er die doch in seinen Taschen haben müssen. Wenn die Wachen sie aber nicht gefunden haben, dann muss noch jemand anderes dagewesen sein. Einer, der mit seiner Beute davongelaufen ist.»
    «Vielleicht hatte der Schreiber gar keine Goldstücke. Vielleicht hat er sie verloren oder verspielt.»
    «Wir müssen die Leute fragen, die an dem Abend in der Schenke waren. Findest du nicht auch, dass Sebastian mal wieder einen Krug Bier trinken muss?»
    «Unbedingt. Und Titus braucht eine neue Liebschaft. Köchinnen sind die beste Nachrichtenbörse. Außerdem haben sie alle eine Schwäche für große, dicke Männer.»
     
    [Bild vergrößern]
    Claes hatte gehofft, Augusta werde seine Sorgen als Phantastereien eines Mannes mit überreizten Nerven beiseitewischen. Sie war immer eine kluge Ratgeberin, und in Gesichtern konnte sie lesen wie er in seinen Kontobüchern. Und nun hatte sie es ausgesprochen: Konnte er Martin trauen? Wer wusste schon, was in einem ehrgeizigen jungen Menschen weit fort von zu Hause vorging?
    Er griff nach seinem Stock und machte sich auf den Weg zum Hafen. Frische Luft würde ihm jetzt guttun. Die Sonne stand schon tief, und der Wind hatte wieder aufgefrischt. Dicke weiße Wolken jagten sich am Himmel mit grauen Fetzen. Er ging über die Jungfernbrücke und schritt energisch die Straße Bei den Mühren hinunter.
    Der Aprilwind war erfrischend, mit jedem Schritt wurde ihm leichter.
    Nicht Martin, dachte er. Er hatte ihm immer vertraut, und dabei blieb es. Punktum.
    Claes freute sich über Sophies Wahl. Nicht zuletzt, weil sie bewies, dass seine Tochter frei von dem Dünkel einiger ihrer Freundinnen war, für die nur ein Mann aus den ersten Familien in Frage kam. Tief in Gedanken ging Claes über die Hohe Brücke, die Kajen und das Steinhöft hinunter bis zum Baumwall am Ende des Binnenhafens. Hier öffnete sich der Blick weit über die Elbe, die ihre vielen Arme zwischen grünen Inseln hindurchschlängelte. Drüben auf dem kleinen Grasbrook weideten schon Schafe mit ihren Lämmern. Bald war Zeit für die Frühjahrsschur. Am Anleger beim Baumhaus am Ende des Steinhöfts hatte gerade der letzte Ewer nach Harburg am südlichen Elbufer abgelegt. Das Segel blähte sich behäbig im Wind und legte das kleine Schiff schräg in die Wellen.
    Nirgends war die Aussicht über die Stadt und die weite Elblandschaft so schön wie von der Dachterrasse des Gasthauses auf dem alten Zollgebäude am Hafen. Sophie hatte dort vor einem Jahr in Tränen aufgelöst hinter der
Katharina
hergewinkt, auf der Martin nach seinem letzten Besuch zurück nach Lissabon gesegelt war. Claes fröstelte. Viele seiner Erinnerungen waren mit dem Baumhaus verbunden. Dazu gehörten zwar auch Streitereien um den Wert der einen oder anderen seiner Ladungen mit den Zollprüfern im Anbau an der Wasserseite, das waren Alltäglichkeiten. Vor allem jedoch erinnerte ihn das Baumhaus an heitere Stunden mit Menschen, die er liebte: Konzerte oder Karnevalsbälle mit Maria im oberen Saal, Treffen mit Freunden wie Sonnin, König, Reimarus und Joachim auf der Dachterrasse. So hoch über den Dächern der Stadt und dem filigranen Gewimmel der Masten und Rahen im Hafen fühlte er sich immer frei. Wenn er je gegen leichtsinnige Gedanken kämpfen musste, dann dort oben, wo ihm die engen Regeln und Pflichten der ehrbaren Kaufleute fern und nicht mehr ganz so unausweichlich erschienen. Nur ein paar Wochen noch, dann war es wieder warm genug für eine Partie Karten, für ein paar Gläser Wein mit den Freunden auf dem Altan.
    Aber es würde nie mehr so sein wie früher. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er in Zukunft durch das Portal gehen würde, ohne daran zu denken, dass Behrmann hier verblutet war. Der Tod seines Schreibers traf ihn härter, als er gedacht hatte.
    Claes hielt das Gesicht in den Wind. Er hatte sich nie Gedanken über den Wind gemacht, so nah bei der Küste war er eben immer da. Aber jetzt empfand er ihn wie einen Freund, der ihn wach rüttelte, wenn die

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