Tod am Zollhaus
privaten Dienste anzubieten, wollte mit dem ungewöhnlich hübschen jungen Mann ins Geschäft kommen.
Schließlich flüchtete Rosina in die St.-Petri-Kirche. Dort störte niemand den frommen Herrn, der tief ins Gebet versunken schien.
Sie versuchte, sich an alles, was sie gehört hatte, zu erinnern. Ein Unfall auf einer fernen Insel hatte den Kaufmann fast das Leben gekostet. Eine Explosion im noch ferneren Lissabon hatte eines seiner Schiffe zerstört. Schließlich erstach jemand seinen ersten Schreiber. Ein großes Unglück nach dem anderen für den Kaufmann Claes Herrmanns.
Er tat ihr nicht leid, dafür hatte er sie und Helena viel zu barsch aus seinem Haus weisen lassen. Und wenn einer so reich war, würde schon der eine oder andere dunkle Fleck die Unschuld seiner Seele trüben. Gott war wohl doch gerecht.
Aber es musste eher mit dem Teufel zugehen – sie warf einen entschuldigenden Blick auf die heiligen Bilder über dem Altar –, wenn das nur Zufälle waren. In den Jahren, die Rosina mit den Komödianten durch viele Städte und Dörfer gezogen war, hatte sie aufgehört, an Zufälle zu glauben. Und über die Hexerei dachte sie wie die Zwiebelfrau.
Letztlich ging es im Leben nicht viel anders zu als in den Komödien. Da hat einer was, was ein anderer auch haben will, eine schöne Braut, einen Sack Geld oder ein Königreich. Da wird geprügelt, intrigiert, betrogen und gefoppt. Immer ist einer der Gute und ein anderer der Böse. Immer gibt es endlose Verwirrspiele, bis endlich das Gute siegt. Fragte sich nur, wer in diesem mörderischen Spiel der Böse war, wer betrog und wer gefoppt wurde. Und um welchen Preis.
Er musste mächtig sein, wenn er selbst in Lissabon und auf dieser englischen Insel Unglück bringen konnte. Und schlau. Es war sicher auch kein Zufall, dass gerade Jean neben dem toten Schreiber im Regen gelegen hatte, als die Stadtwache die Gasse heraufkam. Kein Bürger zweifelte daran, dass ein Komödiant um ein paar Taler einen Mord begeht. Ihr Vater glaubte das auch.
Sie fühlte sich plötzlich sehr matt. Wie sollte sie den Mörder finden? Wie herausbekommen, welche Ränke und Kabalen in den Kontoren und Hinterzimmern der Kaufleute gesponnen wurden? Auch wenn sie in Leipzig, Braunschweig, Schleswig oder Frankfurt Freunde unter den Bürgern hatte, die sie von Zeit zu Zeit sogar in ihre Salons einluden, in Hamburg blieben ihnen die Türen der Bürgerhäuser verschlossen.
«Und welcher Teufel hat dich geritten, ins Kaffeehaus zu gehen?», unterbrach Helena den Bericht.
«Ganz einfach. Ich trug meinen Trübsinn durch die Stadt und wusste nicht weiter, als ich plötzlich vor der Tür stand. Schimpf nicht mit mir, Helena. Wo sonst erfährt man Neuigkeiten aus den Kontoren? Dort sitzen die Männer, lesen in der Zeitung, spielen Billard und Karten, trinken Kaffee und Schokolade, tratschen wie die Zwiebelweiber und tun sich wichtig. Es ist der einzige Ort in einer großen Stadt, wo jeder Zutritt hat, wenn er nur bezahlen kann. Und wenn er ein Mann ist», fügte sie grimmig hinzu. «Nun war ich gerade ein Mann, und ein paar Münzen hatte ich auch. Gottlob musste ich mit niemandem Karten spielen. Wenn Jean wieder bei uns ist, muss er mir unbedingt ein paar Tricks beibringen. Denn wo sie über den Karten saßen, wurde am meisten geklatscht.»
Aber sie hatte es auch ohne Karten geschafft und war schließlich sogar mit dem Kaufmann Herrmanns ins Gespräch gekommen. Er war der einzige in der Stadt, der wie die Komödianten unbedingt herausbekommen musste, was da gespielt wurde. Wirklich ein recht gebildeter Mann, nur vom Theater verstand er gar nichts. Sie hatte kräftig mit ihm gestritten, ob die Schauspiele eine Kunst seien, und schließlich hatte sie sich mit ihm in der Komödienbude an der Fuhlentwiete verabredet, wenn das erste Schauspiel gezeigt werden würde.
Da hatte Rosina sich fast verraten, denn Herrmanns hatte grimmig gelacht und ihr versichert, es werde in diesem Frühjahr keine Komödie geben. Schließlich sei der Liederjan von Prinzipal als Mörder im Loch.
Das sei doch aber gar nicht gewiss, hatte Rosina heftig erwidert und fast ihre Rolle vergessen. Aber er hatte sich über ihre Hitzköpfigkeit amüsiert und versprochen, falls die Komödie tatsächlich gegeben werde, wolle er dort sein und sehen, ob die Komödianten mehr böten als Hanswursterei.
«Alles in allem habe ich einen guten Eindruck gemacht», schloss Rosina mit der Miene einer Katze, die eine besonders fette Maus
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