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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Gedanken zu trübe wurden, der ihn sanft schubste, wenn er zu träge wurde. Der Nordost brachte an diesem Abend noch einen letzten Hauch Winterkälte. Aber Claes fror nun nicht mehr. Er straffte die Schultern und schritt kräftig aus. Am Elbufer drängten sich immer noch Menschen, Karren und Fuhrwerke. Bei den Vorsetzen hatte eine Brigg festgemacht. Auf dem schnittigen Zweimaster herrschte noch quirliges Treiben. Gerade schoben vier Matrosen lange Planken vom Deck an Land. Jetzt im April waren die Anleger direkt am Hafenrand noch frei. Bald mussten einlaufende Schiffe weiter draußen in der Elbe festmachen, und der Weg an Land war eine Kletterpartie über die Reihe der davorliegenden Schiffe, wenn man sich die Mühe sparen wollte, an Land zu rudern.
    Claes kniff die Augen zusammen, um gegen die tiefstehende Sonne den Namen am Bug zu entziffern:
Anne Victoria
. «Ein schönes Schiff», sagte eine weiche Stimme hinter ihm, und noch bevor Claes sich umdrehte, hatte er den Akzent von Thomas Matthews erkannt.
    Er nickte. «Ja, ein besonders schönes Schiff. Aber ziemlich klein.»
    «Sicher», antwortete der Engländer. «Eure Barken bringen fast doppelt so viel Fracht. Aber so eine Brigg ist wendig und schnell, unschlagbar in allen Gewässern. Nicht besonders geeignet, um Kohle und Holz von Schweden nach England zu bringen, aber gut für Seide und Gewürze aus Arabien, für Gläser aus Venedig, Pfirsiche, Zitronen und Trauben aus Spanien. Und für ein paar Säcke Kaffee von Martinique oder Hispaniola.» Er lachte leise. «Im Karibischen Meer ist Schnelligkeit das Wichtigste. Nicht nur im Kampf mit Kaperern.»
    Claes hob unbehaglich die Schultern und sah starr zu dem Segler hinüber. Der Mann, der im Heck an der Reling stand und mit einem der Offiziere sprach, war eindeutig der Kapitän. Er schien einen halben Kopf größer zu sein als alle anderen an Deck, trug keine Perücke, das ungepuderte schwarze Haar war im Nacken über einem weißen, spitzengesäumten Kragen in nachlässiger Eleganz zusammengebunden, die kühne Nase unter einer hohen Stirn beherrschte sein Gesicht.
    Ein paar Kinder und Hunde und zwei Mädchen mit prall über den Hüften gerafften Röcken und viel zu großen Ausschnitten drängten sich um die ersten Männer, die mit wiegenden Schritten über die Planken an Land gingen. Der Mann, den Claes für den Kapitän hielt, verschwand in der Kajüte. Als er wieder auftauchte, führte er eine elegante hochgewachsene Dame am Arm. Lachend hob er sie auf und trug sie leichtfüßig über die federnden Planken an Land. Anne St. Roberts stand auf dem Kai, keine dreißig Schritte von Claes entfernt.
    «Anne!», rief er, lief mit großen Schritten zum Anleger und schalt sich für die vertrauliche Anrede.
    «Mademoiselle St. Roberts. So eine Überraschung. Ich wusste nicht …»
    «Monsieur Herrmanns …» Der freudige Schimmer in ihren Augen verlosch so schnell, dass Claes ihn gar nicht wahrnahm. Sie musterte ihn mit höflichem Lächeln und so kühl, dass der Wind von der Elbe zum Eishauch wurde.
    Der elegante Mann mit der großen Nase beobachtete die verunglückte Begrüßung mit mokantem Lächeln. «Da es Euch offenbar die Sprache verschlagen hat, muss ich mich wohl selbst vorstellen.»
    «Unsinn, Jules», protestierte Anne, legte fest und vertraut die Hand auf den Arm ihres Begleiters und zauberte ein höfliches Lächeln auf ihr Gesicht. «Monsieur Herrmanns, hier bringe ich Euch Captain Braniff, den Ihr bei Eurem unglücklichen Besuch auf Jersey so lange und vergeblich erwartet habt. Er hat viel mit Euch zu besprechen, aber das hat sicher bis morgen Zeit.»
    «Natürlich», Claes stotterte immer noch, «ich werde sofort einen Wagen für Euer Gepäck kommen lassen. Zimmer sind in meinem Haus immer für Euch bereit …»
    «Macht Euch keine Mühe, Monsieur. Ich werde erwartet, und Jules …», sie schenkte dem schönen Mann an ihrer Seite einen schmelzenden Blick, «zieht es immer vor, im Gasthaus zu wohnen. Ach, da ist ja Thomas», rief sie, «Thomas, wie schön, dich zu sehen.»
    Matthews, der einige Schritte entfernt die eigentümliche Begrüßung beobachtet hatte, trat eilig heran und küsste Anne innig beide Hände.
    «Wenn es Euch recht ist, werde ich Euch in den nächsten Tagen besuchen», rief Anne über die Schulter, nahm Matthews’ Arm und zog ihn energisch zu der Kutsche mit dem schwungvollen «M» an den Schlägen.
    Claes sah der davonrollenden Kutsche nach und war nicht sicher, ob er das alles nur

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