Tod am Zollhaus
und sage mir, was du davon hältst.»
«Ein Brief von Martin? Wegen der Hochzeit?»
«Nein, wegen der Explosion der
Katharina.
Du gibst dir zwar alle Mühe, so zu tun, als verstündest du nichts von der Welt da draußen», fuhr er lächelnd fort, «aber wir beide wissen, dass das nicht stimmt. Lies, und sage mir, was du denkst.»
Augusta hielt den Brief ans Fenster und las.
«Eine böse Geschichte», sagte sie dann. «Hast du einen Verdacht?»
«Nein», antwortete Claes zögernd. «Nicht wirklich.»
Augusta kannte ihren Neffen gut genug, um zu spüren, dass diese Antwort nicht stimmte.
«Martin ist seit Jahren weit weg von Hamburg, für ihn ist es leicht, in unseren Kontoren Feindschaft und Verrat zu wittern. Aber wer weiß, womöglich hat er recht. Die Zeiten sind härter geworden.»
Sie nahm die kleine Kolombine aus Porzellan vom Tisch und drehte sie langsam in den Händen, als suche sie einen Fehler in dem fein gemalten Gesicht.
«Nimm mir meine Frage nicht übel, aber – kannst du Martin trauen?»
Claes hatte diese Frage befürchtet und schwieg. Verstohlen tastete er nach dem Brief in der Innentasche seines Rockes. Davon wollte er Augusta nichts sagen. Es war ein anonymer Brief, nur ein paar unsinnige Sätze, die er am besten einfach wieder vergaß. Auch wenn es schon der zweite dieser Art war. Er musste Jensen morgen noch einmal fragen. Irgend jemand musste doch gesehen haben, wer den Brief mit seinem Namen auf den Schanktisch des Kaffeehauses gelegt hatte.
«Du bist verrückt! Du stürzt uns alle ins Unglück!» Helena schloss krachend das Fenster der Dachkammer im Kröger’schen Haus, damit niemand ihren Streit hören konnte.
«Wenn dich jemand erkannt hätte?»
«Wer wollte mich denn erkennen? Nicht einmal in Auerbachs Keller hat mich jemand erkannt. Und die Leipziger haben mich oft gesehen.» Der junge Mann im grauen Rock nahm den Hut vom Kopf, dickes blondes Haar quoll darunter hervor.
«Dein Haar hat sich gelöst! Wenn dir das im Kaffeehaus passiert wäre!»
«Schimpf nicht, Helena. Es war doch nur eine kleine Scharade.»
Die schlanke Gestalt streifte die graue Atlasjacke und die weißen Kniehosen ab, zupfte den schmalen Bart von der Oberlippe und schlüpfte in ein Kleid aus blaugestreiftem Kattun. Aus dem jungen Reisenden aus Sachsen war wieder die Komödiantin Rosina geworden.
«Kindskopf», schimpfte Helena weiter. «Ich bin sicher, es hat dir auch noch Spaß gemacht!»
Zornig griff sie nach Jacke und Hose und hängte sie ordentlich über zwei hölzerne Haken an der Wand.
«Nun erzähl endlich, was du dir dabei gedacht hast.»
Rosina hatte eine Menge gedacht, bevor sie sich als junger Reisender unter die Bürger in Jensens Kaffeehaus mischte. Zuerst wollte sie nur erfahren, was man in der Stadt über die Becker’sche Komödiantengesellschaft und ihren Prinzipal sprach. Darüber hörte sie wenig, umso mehr sprachen die Leute davon, dass Claes Herrmanns in den letzten Monaten ein bisschen viel Pech habe. Vor allem im täglichen Mittagstrubel vor der Börse wurde viel darüber geredet. Bedauern und Schadenfreude hielten sich die Waage.
Auf dem Jungfernstieg erzählte ein Wasserträger dem Vogelhändler von einem Unfall, der den Kaufmann fast das Leben gekostet habe, und von einem seiner Schiffe, das im Hafen von Lissabon untergegangen sei.
Auf dem Gänsemarkt stritt ein Fuhrmann mit einer Zwiebelfrau, ob der Komödiant, der den Behrmann erstochen habe, wohl ein Zauberer sei, den man am besten gleich aufs Rad flechte. Die Goldstücke, um die er den Schreiber totgemacht habe, habe er weggehext, behauptete der Fuhrmann. Wie sonst könne es angehen, dass er sie nicht mehr bei sich hatte, als die Wache ihn auf der Gasse fand?
Unsinn, antwortete die Zwiebelfrau, mit der Hexerei sei es ja heutzutage vorbei – sie bekreuzigte sich schnell –, aber wo ein Spitzbube sei, sei auch ein zweiter. Sein Komplize habe ihn sicher im Stich gelassen und sich mit der Beute davongemacht.
Zwei Schreiber, den Dreispitz unter dem einen, Börsenbriefe unter dem anderen Arm, spekulierten vor dem Rathaus, wie viel Malaise Herrmanns noch treffen müsse, damit er von einem großen zu einem kleinen Kaufmann werde.
Rosina schlenderte weiter und setzte sich beim Johanniskloster am Alsterufer auf einen Stein in die Sonne. Sie musste nachdenken. Aber dazu war der Platz schlecht gewählt, jedes der aufgeputzten Mädchen, die auf dem Weg zum Jungfernstieg waren, um die ersten Primeln, Veilchen und ihre ganz
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