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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Er schämte sich dafür. Es gab doch keine Gefahr. Niemand wusste, dass er in Hamburg war, und niemand konnte wissen, was er Claes Herrmanns zu berichten hatte. Noch ein paar Minuten, dann würde Blohm das große Tor öffnen, und er konnte sich wieder sicher fühlen. Dann war er zu Hause.
    Aber er hatte sich geirrt. Die Schritte waren nicht das Echo seiner eigenen gewesen. Der Schlag, mit dem der Knüppel ihn traf, fuhr wie ein explodierendes Feuer durch seinen Kopf. Dann spürte er nichts mehr. Er hörte auch nichts von dem kurzen Streit der beiden Männer, ob er nun genug habe oder ob es nicht besser sei, noch einmal zuzuschlagen. Nur das Grölen zweier Betrunkener, die die Straße heraufkamen, ersparte ihm den zweiten Schlag.
    «Der hat genug», flüsterte eine raue Stimme.
    Die schwarze Nacht verschluckte die beiden Gestalten wie Schatten.
    Der erste der zwei Matrosen, die kurz darauf um die Ecke bogen, stolperte über die zusammengekrümmte Gestalt am Anfang der Brücke. «He», rief er, «der hat noch mehr gesoffen als wir. Steh auf, Bruder, in der Gosse frierste dir heute Nacht den Arsch ab. Steh auf.»
    Dann sah er das Blut dick und schwarz unter der Kapuze hervorsickern und erstarrte.
    «Komm», zischte der andere, «lass ihn liegen. Was kümmert uns so ’n Schnösel. Oder willste aufs Rad geflochten werden, weil se glauben, wir hätten den erschlagen?»
    Erst am nächsten Morgen, als der Nachtwächter seine Sechsuhrrunde machte, wurde Martin Sievers gefunden und in Herrmanns’ Haus gebracht.
    «Tot», sagte der Nachtwächter, «tot wie ’ne Katze, die unter die Räder gekommen ist.»
    «Noch nicht», sagte die Köchin, die zu dieser frühen Stunde das Tor geöffnet hatte, «noch nicht ganz.»
    Die Doktoren Eisermann und Kletterich, die Claes schon vor dem Frühstück aus ihren warmen Betten holen ließ, wickelten frische Tücher um Martins Kopf, murmelten ein paar lateinische Sätze und machten sorgenvolle Gesichter. Dann ließen sie den Patienten zur Ader, forderten warme Decken und verboten, das Fenster zu öffnen, damit die frische, kühle Luft ihn nicht noch mehr schwäche. Sie rieten zu Gebeten und Geduld.
    Keiner der beiden glaubte, dass dieser bleiche junge Herr je wieder aufwachen würde. Aber beide hofften, dass er noch lange genug lebte, um ihnen ein paar Goldstücke einzubringen.
    Donnerstagmorgen
    Der Morgen war noch grau, als sich Augusta und Claes zum Frühstück trafen. Keiner von beiden hatte Appetit.
    «Warum ist er so heimlich und bei Nacht gekommen?», fragte Augusta. «Sein Schiff muss doch schon bei Tag angelegt haben. Bei Nacht ist der Hafen gesperrt. Wo ist er so lange gewesen?»
    «Ich weiß es nicht.» Claes strich sich müde über die Stirn. Sein Kopf dröhnte zum Zerspringen. «Ich weiß es wirklich nicht.»
    Schon in der ersten Dämmerung war er zum Hafen gegangen und hatte schnell herausgefunden, mit welchem Schiff Martin gestern angekommen war.
    «Der Kapitän sagt, Martin hat darauf bestanden, dass niemand auf dem Schiff erfuhr, wer er ist und wohin er will. In seinem Gepäck war kein Brief, kein Dokument, nichts, was über die Explosion auf der Bark Auskunft geben könnte. Gar nichts.»
    «Er hat die Auskünfte in seinem Kopf», seufzte Augusta, «in seinem armen, zerschlagenen Kopf.»
    «Herrgott! Er darf nicht sterben! Ich muss wissen, was er mir sagen wollte. Wenn er sich so geheimnisvoll auf den Weg gemacht hat, muss er etwas herausgefunden haben. Er muss wissen, wer hinter allem steckt.»
    Claes schob seinen Stuhl zurück und ging, schwer auf den Stock gestützt, zum Fenster.
    Augusta sah ihn an. Sie wusste, dass es ihm nicht nur um Martins Geheimnis ging. Claes hatte den Jungen gern. Er bewunderte Martins Tüchtigkeit und kaufmännisches Geschick, und er vertraute ihm wie wenigen, die nicht zu seiner Familie gehörten.
    «Und es muss jemand hier in Hamburg sein», sagte Augusta leise, «vor dem er Angst hat. Also jemand, den wir alle kennen.»
    Claes nickte, seine Finger trommelten lautlos gegen das Fenster. Er sah hinunter auf die Straße, sah die Karren, die hochbepackt vom Hafen kamen, sah Köchinnen und Mägde mit Körben zum Gemüsemarkt am Messberg eilen, eine Sänfte wurde vorbeigetragen, und ein Kind trieb ein paar Schweine den Neuen Wandrahm hinauf, obwohl der Rat kürzlich verboten hatte, Schweine in der Stadt frei herumlaufen zu lassen.
    Claes war hier zu Hause. Er kannte London und Amsterdam. Er hatte auch Schweden und Dänemark, Portugal, Spanien und

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